Oberallgäu & Allgäuer Alpen

Der Rottachsee: Ein Speichersee als Mischung aus Zweckmäßigkeit und Idylle

Der Rottachsee ist kein Blender. Er verspricht keine Karibik und liefert kein Hochglanz-Panorama ohne Ecken und Kanten. Er ist ein Nutzbau, der grün geworden ist. Er ist ideal für Leute, die sich bewegen wollen – sei es auf dem Wasser oder drumherum.

Kommentare
Teilen
Facebook
Pocket
E-Mail
0
Kommentare
Facebook
Pocket
E-Mail
Zwischenablage

Man muss eines vorwegnehmen, damit keine falschen Erwartungen aufkommen: Der Rottachsee ist kein Überbleibsel alter Gletscher, die sich vor zehntausend Jahren zurückgezogen haben. Er ist ein Millennial. Geboren – oder besser gesagt: angestaut – wurde er in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern. Das merkt man ihm heute aber kaum noch an. Wer am Ufer steht und auf die dunkle Wasserfläche blickt, sieht Natur, wo eigentlich Technik dominiert. Ursprünglich wurde dieses riesige Becken nämlich nicht gebaut, damit wir unsere Füße kühlen können, sondern damit Kempten und das Unterland keine nassen Füße bekommen. Hochwasserschutz für die Iller, Niedrigwasseraufhöhung in trockenen Sommern und ein bisschen Stromerzeugung nebenbei. Dass daraus das größte Gewässer des Oberallgäus wurde, ist ein netter Nebeneffekt, den wir heute gerne mitnehmen.

Es ist schon kurios. Da planieren Ingenieure ein ganzes Tal, siedeln ein paar Höfe um (was damals für ordentlich Unmut sorgte), ziehen einen 40 Meter hohen Damm hoch – und dreißig Jahre später brüten dort seltene Vögel und Städter suchen ihre Zen-Momente. Die Natur holt sich alles zurück, wenn man sie nur lässt. Der See liegt eingebettet zwischen sanften Hügeln, nicht direkt im schroffen Felsmassiv, auf etwa 850 Metern Höhe. Das sorgt für ein eigenes Mikroklima. Oft zieht es hier wie Hechtsuppe, während es drei Kilometer weiter windstill ist. Segler lieben das. Sonnenanbeter fluchen manchmal, wenn das Handtuch wegfliegt.

Die Sache mit dem Wind und dem Wasser

Wenn du dich wunderst, warum auf dem Parkplatz mehr Autos mit Dachgepäckträgern für Surfbretter stehen als Familienvans, dann liegt das an der Thermik. Der Rottachsee gilt als eines der wind-sichersten Reviere in der Region. Durch die Ausrichtung des Tals entsteht eine Art Düse. Wer hier segeln lernt, kann es danach fast überall. Es ist kein Schicki-Micki-Yachtclub-Flair wie am Bodensee oder Starnberger See. Hier wird Sport getrieben. Die Boote sind oft kleiner, sportlicher, die Segler tragen Neopren statt Poloshirts. In Petersthal gibt es einen kleinen Segelhafen, der wirkt fast niedlich im Vergleich zur Wasserfläche von fast 300 Hektar.

Das Wasser selbst hat Eigenheiten. Da es ein Speichersee ist, schwankt der Pegel. Im Spätwinter wird abgelassen, um das Schmelzwasser aufzufangen. Im Sommer ist er meist voll. Das Ufer ist deshalb nicht überall dieser feine weiße Kies, den man aus der Karibik-Werbung kennt. Es ist oft lehmig, steinig, manchmal ein bisschen schlammig. "Batze" sagt der Allgäuer dazu, wenn der Matsch zwischen den Zehen quillt. Das gehört hier dazu. Dafür erwärmt sich der Rottachsee im Frühsommer oft schneller als die tiefen Alpenseen, kühlt aber im Herbst auch fix wieder ab. Die Wasserqualität? Solide. Aber da der Rottach-Zufluss auch Sedimente aus der Landwirtschaft mitbringt, ist die Sicht unter Wasser oft trüb. Taucher sieht man hier trotzdem, meistens üben sie im flacheren Bereich oder suchen nach verlorenen Sonnenbrillen. Wer glasklares Wasser will, muss weiter in die Berge fahren. Wer Platz zum Schwimmen will, ohne dem Nachbarn den Fuß ins Gesicht zu treten, bleibt hier.

Einmal rundherum: Der 15-Kilometer-Marsch

Viele unterschätzen die Runde um den See. "Lass uns mal schnell um den See laufen", ist ein Satz, den man oft hört und der meistens in wunden Füßen endet. Der Rundweg misst knapp 15 Kilometer. Das ist kein Spaziergang, das ist eine Wanderung. Und sie ist nicht flach. Das Gelände um den See ist hügelig, typisches Voralpenland eben. Es geht rauf und runter, mal durch dichten Fichtenwald, mal über offene Wiesenflächen, auf denen im Sommer das Jungvieh steht und blöd guckt, wenn man vorbeikeucht.

Der Weg ist landschaftlich abwechslungsreich. Auf der Seite von Bisseroy und Petersthal ist mehr los, hier ist die Zivilisation nah. Wechselt man auf die "wilde" Seite Richtung Moosbach und den Vorsee, wird es ruhiger. Der Vorsee, durch einen Zwischendamm vom Hauptsee getrennt, fungiert als Sedimentfalle. Hier verlandet der Bereich langsam, es wächst Schilf, es summt und brummt. Ein Paradies für Ornithologen und Mücken. Mückenspray ist im Hochsommer auf dieser Seite keine Option, sondern Pflichtausrüstung. Der Weg führt teils über Schotter, teils über Asphalt. Radfahrer nutzen die Strecke gerne als Trainingsrunde. Als Fußgänger muss man an schönen Wochenenden manchmal zur Seite springen, wenn wieder eine Gruppe E-Biker im Tiefflug ankommt. Aber unter der Woche? Da hast du Passagen ganz für dich allein. Man hört nur das Knirschen der eigenen Schuhe und das Rauschen der Baumwipfel.

Petersthal und Moosbach: Die Wächter am Ufer

Zwei Orte prägen das Bild am See: Petersthal (gehört zur Gemeinde Oy-Mittelberg) und Moosbach (gehört zu Sulzberg). Petersthal thront etwas erhaben am Hang. Von hier oben hat man den klassischen Blick über den See auf den Grünten, den "Wächter des Allgäus". Das ist schon großes Kino, wenn die Sonne untergeht und der Berg rot leuchtet. Petersthal wirkt bodenständig. Hier gibt es keine riesigen Hotelbunker, sondern Pensionen und Ferienwohnungen. Man grüßt sich noch auf der Straße, auch wenn man sich nicht kennt. Ein kurzes "Griaß di" bricht keinem einen Zacken aus der Krone.

Auf der anderen Seite, etwas versteckter, liegt Moosbach. Hier geht es noch ruhiger zu. Es gibt Badeplätze, die weniger frequentiert sind als das Strandbad in Petersthal. In Moosbach findet man eher die Einheimischen, die nach Feierabend noch schnell eine Runde schwimmen gehen. Die Infrastruktur ist hier dünner, aber genau das macht den Reiz aus. Wer Party sucht, ist an beiden Orten völlig falsch. Wer nach 22 Uhr noch Remmidemmi will, muss nach Kempten fahren. Hier werden abends die Bürgersteige hochgeklappt – und das ist auch gut so.

Flora, Fauna und der Naturschutz

Es ist erstaunlich, wie schnell Tiere künstliche Lebensräume annehmen. Der Rottachsee ist heute ein wichtiges Biotop. Besonders im Bereich des Vorsees und der flachen Einlaufzonen. Haubentaucher sind hier fast Standard, mit etwas Glück sieht man Graureiher, die regungslos im Schilf stehen und warten, dass ihnen ein Fisch ins Maul schwimmt. Für Angler ist der See übrigens ein interessantes Revier. Hecht, Zander, Barsch und Renken sind drin. Die Lizenzen sind begehrt, und die Regeln streng. Nachtangeln ist oft reglementiert, und wer seinen Müll liegen lässt, kriegt Ärger mit den Aufsehern – zu Recht. Der Allgäuer Fischereiverband achtet penibel darauf, dass das Gleichgewicht stimmt.

Pflanzenliebhaber finden in den Feuchtwiesen rund um den See seltene Arten. Knabenkraut, Wollgras, Trollblumen. Man muss aber aufpassen: Viele Wiesen sind landwirtschaftlich genutzt oder stehen unter Naturschutz. Einfach querfeldein latschen, um einen Blumenstrauß zu pflücken, kommt gar nicht gut an. Die Bauern verstehen da keinen Spaß, wenn das Futtergras zertrampelt wird. "Bleib aufm Weg, zefix!" könnte man da schon mal zu hören bekommen, wenn man Pech hat.

Essen, Trinken und das leidige Parken

Kommen wir zu den weltlichen Genüssen. Ein Highlight ist sicher der Kioskbereich in Bisseroy. Das ist so ein Treffpunkt für alle. Biker, Wanderer, Badegäste. Man sitzt auf Bierbänken, holt sich eine Currywurst oder einen Wurstsalat und schaut aufs Wasser. Simpel, aber effektiv. Die Preise sind moderat, nicht so überzogen wie direkt unter Schloss Neuschwanstein. Es gibt noch weitere Einkehrmöglichkeiten rund um den See und in den Dörfern, vom gutbürgerlichen Gasthof bis zum kleinen Café.

Ein Thema, das man ansprechen muss: Parken. Es kostet Geld. Überall. Die Automaten sind hungrig, und an heißen Sommertagen sind die Plätze schnell voll. Besonders in Bisseroy und am Hauptdamm. Wildparken am Straßenrand wird rigoros kontrolliert und geahndet. Die Politessen sind hier flink. Also: Kleingeld mitnehmen oder die entsprechende App geladen haben, und sich nicht über die paar Euro ärgern. Der Unterhalt der Anlagen kostet schließlich auch was.

Der Damm: Ein Monument aus Steinen und Asphalt

Der Hauptdamm im Norden bei Riedis ist das Herzstück der Anlage. Er ist massiv. Ein Schüttdamm, kein Betonklotz. Oben drauf verläuft ein Weg, von dem aus man tief hinunter auf das alte Flussbett der Rottach blickt, die sich ihren Weg Richtung Iller sucht. Auf der Wasserseite schwimmen oft Treibholzstämme vor dem Überlauf. Das Bauwerk wirkt beruhigend stabil. Hier wird einem erst bewusst, welche Wassermassen da zurückgehalten werden. Technikfreaks finden Tafeln mit Informationen zu Stauvolumen und Abflussmengen. Für alle anderen ist es einfach ein guter Ort, um sich den Wind um die Nase wehen zu lassen. Im Winter, wenn der See teilweise zufriert (was in Zeiten des Klimawandels seltener wird, aber noch vorkommt), wirkt die Szenerie fast arktisch. Grau in Grau, Nebelschwaden, Stille. Das hat eine ganz eigene Melancholie, die man mögen muss.

Schreibe einen Kommentar
Bitte anmelden, um einen Kommentar zu schreiben.
 
Du 

Bisher keine Kommentare
Entdecke mehr:
Nach oben scrollen