Man muss erst mal eines klarstellen, bevor du ins Navi "Alpspitze" eintippst und dich wunderst, warum die Zugspitze so weit weg ist. Wir sind hier nicht in Garmisch-Partenkirchen. Wir sind in Nesselwang. Die hiesige Alpspitze ist mit ihren 1.575 Metern zwar deutlich niedriger als ihr prominenter Namensvetter im Werdenfelser Land, hat aber etwas, das dem großen Bruder fehlt: eine der schnellsten Ziplines Deutschlands. Wer das Allgäu sonst nur mit bimmelnden Kuhglocken und gemütlichen "Hocks" auf der Hütte verbindet, wird hier eines Besseren belehrt. Oder eines Schnelleren.
Nesselwang liegt genau an der Kante. Hinter dir türmen sich die Alpen auf, vor dir breitet sich das flache Voralpenland aus wie ein grüner Flickenteppich. Und genau über diesen Teppich schießt man beim AlpspitzKICK. Es ist keine dieser harmlosen Seilrutschen, die man von Waldspielplätzen kennt, wo man gelangweilt mit Schrittgeschwindigkeit von Baum A zu Baum B trödelt. Das hier ist eine Konstruktion aus Stahl, Hightech und einer ordentlichen Portion Mut.
Der Weg nach oben: Vorfreude und weiche Knie
Der Spaß beginnt paradoxerweise ganz langsam. Unten an der Talstation der Alpspitzbahn löst du dein Ticket. Billig ist der Spaß nicht gerade, das muss man ehrlich sagen. Aber für technische Spielereien dieser Größenordnung legt man eben etwas hin. Du bekommst hier noch kein Gurtzeug, das wartet weiter oben. Erst mal geht es in die Bahn. Die Alpspitzbahn ist eine dieser Kombibahnen – mal kommt eine Gondel, mal ein Sessellift. Wer schlau ist, nimmt den Sessel, um schon mal den Wind im Gesicht zu spüren. Gondeln sind was für Regentage.
Während die Bäume unter den Füßen kleiner werden, steigt bei den meisten der Puls. Man sieht nämlich schon beim Hochfahren die dicken Stahlseile, die quer über die Trasse gespannt sind. Und wenn man Glück – oder Pech, je nach Nervenkostüm – hat, sieht man auch gerade jemanden, der wie ein Paket an der Schnur talwärts saust. Das Geräusch ist charakteristisch. Kein Schreien, das hört man kaum. Eher ein metallisches Singen, ein hohes Sirren, das lauter wird und dann zack, vorbei ist.
Oben an der Bergstation angekommen, ist es noch ein kleines Stück zu Fuß. Ein kurzer Marsch, kaum der Rede wert, aber genug Zeit, um sich zu fragen, warum man das eigentlich macht. An der Startplattform wartet das Personal. Die Jungs und Mädels dort oben sind routiniert. Kein Wunder, die fertigen am Tag hunderte Adrenalinjunkies ab. Ihre Ruhe färbt ein bisschen ab, was gut ist. Hektik kann man hier oben an der Abbruchkante nämlich nicht brauchen.
Die Prozedur: Wiegen, Gurten, Beten
Bevor du fliegen darfst, musst du auf die Waage. Das ist kein Bodyshaming, sondern reine Physik. Der AlpspitzKICK funktioniert allein durch Schwerkraft. Bist du zu leicht, bleibst du in der Senke hängen und musst peinlicherweise geborgen werden. Bist du zu schwer, wird die Bremsung am Ende... sagen wir mal, intensiv. Das Mindestgewicht liegt oft bei 50 Kilogramm, das Maximum bei etwa 130 Kilogramm inklusive Kleidung. Wer also vorher drei Portionen Kässpatzen im Sportheim Böck gegessen hat, sollte vielleicht noch mal nachrechnen.
Das Gurtzeug ist massiv. Es ist kein einfacher Klettergurt, sondern eher eine Art Sitzsack aus robustem Gewebe, in den man quasi hineingepackt wird. Helm auf, Brille festzurren (Kontaktlinsenträger aufgepasst, der Wind kriecht in jede Ritze!), und dann geht es die Treppe hoch zum Startturm. Das Herz pocht jetzt meistens bis zum Hals.
Sektion 1: Der freie Fall ins Glück
Die Anlage ist in zwei Sektionen unterteilt. Die erste ist die spektakulärere, was die Höhe angeht. Du stehst am Gate. Der Guide klinkt den massiven Rollenwagen in das fingerdicke Stahlseil ein. Klick. Klack. Sicherung zu. Jetzt hängst du drin. Deine Füße suchen noch Boden, finden aber keinen Halt mehr, sobald sich das Gatter öffnet. Es gibt diesen einen Moment, diese Millisekunde der Überwindung, in der der Körper "Stopp!" schreit, aber der Kopf "Los!" befiehlt.
Du lässt los. Oder wirst losgelassen. Die Beschleunigung ist brachial, aber erstaunlich weich. Es ruckelt nicht, es zieht nur gewaltig. Innerhalb von wenigen Sekunden erreichst du Topspeed. Bis zu 120 km/h sind drin, je nach Wind und eigenem "Kampfgewicht". Der Boden fällt unter dir weg. Anfangs sind die Baumwipfel noch greifbar nah, dann plötzlich bist du 60 Meter über dem Grund. Die Landschaft explodiert förmlich vor deinen Augen. Der Grüntensee glitzert irgendwo links unten, rechts die Hänge der Alpspitze, und geradeaus das weite Land.
Geräusche verändern sich. Der Wind wird zu einem Rauschen, das alles andere verschluckt. Das Singen der Rollen auf dem Seil überträgt sich als Vibration auf den Gurt. Es fühlt sich technisch an, präzise. Man baumelt nicht hilflos, man gleitet wie auf Schienen. Nur eben ohne Schienen. Und verdammt schnell.
Zwischenlandung und das Finale
Die erste Sektion endet an einer Zwischenplattform. Die Magnetbremsen greifen fast geräuschlos, aber bestimmt. Du wirst sanft abgebremst, pendelst aus und wirst von einem Mitarbeiter in Empfang genommen. Viele haben jetzt dieses breite, dümmliche Grinsen im Gesicht, das man nach einer Achterbahnfahrt hat. Die Knie sind weich wie Wackelpudding. Man muss kurz laufen, das Gurtzeug scheuert etwas zwischen den Beinen – bequem zum Laufen ist das Ding nämlich nicht gebaut.
Sektion 2 ist anders. Sie ist kürzer und verläuft dichter über dem Gelände. Hier fehlt vielleicht die schwindelerregende Höhe des ersten Teils, aber dafür ist das Geschwindigkeitsgefühl intensiver. Weil der Boden, die Wiesen und die Büsche näher sind, nimmt das Auge die Geschwindigkeit viel direkter wahr. Es ist der "Star Wars"-Effekt im Wald von Endor, nur im Allgäu. Man schießt über Wanderer hinweg, die oft stehenbleiben und nach oben starren. Ein kurzes Winken ist meistens nicht drin, man hat genug damit zu tun, die Beine stabil zu halten, damit man sich nicht im Wind dreht.
Fakten-Check und was man wissen muss
Wer den AlpspitzKICK machen will, muss ein paar Dinge beachten, die nicht im Hochglanzprospekt stehen. Erstens: Das Wetter. Das Allgäu ist berüchtigt für seine schnellen Wetterwechsel. Bei Gewittergefahr oder zu starkem Wind wird der Betrieb sofort eingestellt. Es kann also passieren, dass du oben stehst, fertig eingepackt, und dann heißt es: "Kommando zurück." Das ist frustrierend, aber Sicherheit geht vor. Ein Stahlseil bei Blitzschlag ist keine gute Idee.
Zweitens: Die Kleidung. Auch im Sommer kann es durch den Fahrtwind oben frisch werden. Eine Windjacke schadet nicht. Feste Schuhe sind Pflicht. Wer mit Flipflops ankommt, darf gleich wieder umdrehen (oder barfuß fliegen? Nein, auch das ist verboten). Alles, was locker ist, fällt runter und ist weg. Handys gehören in Reißverschlusstaschen. Wer filmen will, braucht eine zertifizierte Halterung für die Actioncam am Helm. Selfiesticks in der Hand sind ein absolutes No-Go.
Ein interessantes Detail am Rande: Die Konstruktion ist so gebaut, dass sie auch im Winter betrieben werden kann. Über verschneite Tannenwipfel zu rasen, hat noch mal einen ganz eigenen Reiz. Die Kälte im Gesicht ist dann allerdings bei 100 Sachen brutal. Da friert einem das Lachen buchstäblich ein.
Nach dem Flug: Wohin mit dem Adrenalin?
Am Ende der zweiten Sektion landest du wieder in der Nähe der Talstation. Das Personal befreit dich aus dem Gurt, du gibst den Helm ab und stehst plötzlich wieder auf festem Boden. Es fühlt sich seltsam statisch an. Die Welt dreht sich nicht mehr, der Wind ist weg. Was bleibt, ist der Hunger.
Nesselwang bietet zum Glück genug Möglichkeiten, den Kalorienhaushalt wieder aufzufüllen. Direkt an der Talstation gibt es Gastronomie, aber wer es uriger mag, fährt entweder vorher noch mal hoch oder kehrt im Ort ein. Ein ordentliches Bier (oder eine Radlermaß für die Fahrer) und eine Brotzeit sind jetzt genau das Richtige. Man hat ja schließlich was geleistet. Zumindest fühlt es sich so an, auch wenn die Schwerkraft die eigentliche Arbeit gemacht hat.
Lohnt es sich? Ja. Es ist kurz, ja. Die reine Fahrzeit beträgt insgesamt nur etwas über eine Minute für beide Sektionen zusammen. Dafür rund 30 bis 40 Euro (je nach aktuellem Tarif) hinzulegen, tut dem schwäbischen Geldbeutel vielleicht weh. Aber das Erlebnis ist einzigartig in der Region. Es ist dieser Mix aus alpiner Kulisse und Hochgeschwindigkeitstechnologie, der den AlpspitzKICK besonders macht.
Und wenn du dann unten sitzt, den Nacken massierst und zu den Stahlseilen hochschaust, wo gerade der nächste kleine schwarze Punkt talwärts saust, denkst du dir vielleicht: "War schon geil." Und genau darum geht es ja.
Nützliches für die Planung
- Erreichbarkeit: Nesselwang hat einen eigenen Bahnhof ("Pfronten-Steinach" ist auch nah, aber Nesselwang hat direkten Anschluss mit der Außerfernbahn). Mit dem Auto über die A7, Ausfahrt Nesselwang. Parkplätze an der Alpspitzbahn sind vorhanden, kosten aber meist eine kleine Gebühr.
- Zeitbedarf: Plane etwa 1,5 bis 2 Stunden ein. Ticketkauf, Auffahrt, Einweisung, Wartezeiten oben und die Fahrt selbst. An Wochenenden in den Ferien kann es auch mal länger dauern.
- Saison: Ganzjährig, aber mit Revisionszeiten im Frühjahr und Herbst. Immer vorher auf der Website checken, ob "grünes Licht" gegeben ist.
- Körperliche Einschränkungen: Wer schwanger ist oder Rückenprobleme (Bandscheibe!) hat, sollte unten bleiben. Die Schläge beim Einbremsen sind zwar gedämpft, aber spürbar.
Noch ein letzter Tipp unter uns: Versuch, den Flug am späten Nachmittag zu buchen, wenn die Sonne schon etwas tiefer steht. Das Licht über dem Allgäu ist dann weicher, fast schon kitschig golden, und die Kontraste sind schärfer. Außerdem ist dann meistens weniger los als zur Mittagszeit, wenn alle Touristenbusse gleichzeitig einfallen.