Wenn du in Pfronten ankommst, suchst du wahrscheinlich erst einmal die Mitte. Du fährst die Meilinger Straße entlang, biegst ab Richtung Ried, schaust dich um und fragst dich, wo denn nun eigentlich "die Stadt" ist. Die einfache Antwort lautet: Es gibt sie nicht. Zumindest nicht so, wie man das von anderen bayerischen Touristenmagneten kennt. Pfronten ist ein Kuriosum. Es ist eine Verwaltungsgemeinschaft aus dreizehn Ortsteilen, die im Laufe der Jahrhunderte irgendwie zusammengewachsen sind, aber ihren eigenen Kopf behalten haben. Ried ist zwar das Verwaltungszentrum, aber Steinach, Berg oder Weißbach sind genauso wichtig. Das macht die Orientierung am Anfang etwas zäh. Man flaniert hier nicht, man pendelt. Aber genau das ist der Reiz. Du bist nicht in einer künstlichen Kulisse gefangen, sondern bewegst dich in einem echten, funktionierenden Organismus.
Es ist eigentlich ganz witzig. Während Füssen nebenan mit den Königsschlössern die Massen anzieht wie Licht die Motten, ist Pfronten eher der pragmatische Nachbar, der in der Garage an einer Erfindung bastelt. Die Einheimischen nennen das den Geist der "Mächler". Das ist so ein spezieller Begriff hier. Ein Mächler ist einer, der für jedes Problem eine Lösung findet, der tüftelt, bis es passt. Das spürst du an jeder Ecke. Pfronten ist nicht nur Jodeln und Dirndl. Es ist ein Zentrum für Feinmechanik und Maschinenbau. Weltfirmen wie DMG Mori haben hier riesige Werke. Wenn du auf dem Breitenberg stehst und runterschaust, siehst du Kuhweiden direkt neben hochmodernen Industriehallen. Diese Reibung zwischen Tradition und High-Tech macht den Ort spannender als jedes Postkartenidyll.
Der höchste Traum des Königs
Apropos Breitenberg. Bevor wir uns in den Tälern verlieren, müssen wir hoch hinaus. Und zwar zur Ruine Falkenstein. Jeder kennt Neuschwanstein. Das ist die fertige Torte mit extra viel Sahne. Der Falkenstein ist das Rezept, das nie gebacken wurde. König Ludwig II. hatte nämlich vor, hier oben, auf 1.268 Metern, sein letztes und kühnstes Schloss zu bauen. Es sollte eine Art Gralsburg werden, noch theatralischer als alles andere. Aber dann ging ihm das Geld aus, und kurz darauf war er tot. Geblieben ist die höchstgelegene Burgruine Deutschlands. Der Weg dorthin ist steil, und im Winter ist die Straße oft gesperrt, weil es dort oben zieht wie Hechtsuppe. Aber du solltest den Aufstieg wagen.
Oben angekommen, stehst du in den alten Mauern und hast einen Blick, der dich demütig macht. Du siehst weit ins Vilstal hinein, rüber nach Tirol und auf die Aggenstein-Nordwand. Es ist rau hier. Der Wind pfeift meistens ziemlich ordentlich durch die alten Fensteröffnungen. Es riecht nach feuchtem Stein und Fichtenharz. Anders als in den Museen im Tal hast du hier das Gefühl, der Geschichte wirklich nahe zu sein, weil sie unvollendet ist. Direkt unterhalb der Ruine klebt das Burghotel am Fels. Ein ziemlich exklusiver Laden, aber man kann dort auch einfach nur einen Kaffee trinken und sich vorstellen, wie Ludwig hier oben im Schneesturm seine Pläne geschmiedet hat. Dass es nicht dazu kam, ist für die Natur wahrscheinlich ein Segen. So bleibt der Falkenstein ein mystischer, etwas düsterer Ort, der nicht von Selfiesticks dominiert wird.
Design trifft Heustadel
Zurück im Tal fällt auf, dass Pfronten optisch aus der Reihe tanzt. Natürlich gibt es die klassischen Häuser mit den weiten Dachüberständen und den Geranien vor dem Fenster. Das muss im Allgäu wohl so sein. Aber dazwischen blitzt immer wieder modernes Design auf. Die Pfrontener haben verstanden, dass man Tradition nicht konservieren muss wie Essiggurken, sondern weiterentwickeln kann. Ein gutes Beispiel sind die sogenannten "Werkstadel". Das sind Showrooms für lokales Handwerk, aber architektonisch ziemlich ambitioniert gestaltet. Hier zeigen Schreiner, Filzer und Schmiede, was sie können. Und das ist weit entfernt von Kitsch.
Die Pfrontener Ästhetik ist oft reduziert. Viel Holz, klare Linien, wenig Schnickschnack. Man besinnt sich auf die Materialien, die da sind. In einigen Ortsteilen findest du Häuser, die komplett mit Holzschindeln verkleidet sind, die über die Jahre silbergrau geworden sind. Das sieht bei Regen fast noch besser aus als bei Sonnenschein. Überhaupt ist das Wetter hier ein Faktor. Wenn es im Allgäu regnet, dann meistens richtig. Dann hängen die Wolken tief in den Bergen, und alles wirkt gedämpft und weich. An solchen Tagen verzieht man sich am besten in eine der Werkstätten oder Gasthöfe. Es hat was Beruhigendes, dem Regen zuzusehen, wie er in die Vils tropft, die sich gurgelnd durch die Ortsteile schlängelt.
Heu ist nicht nur für Kühe
Ein Thema, an dem du in Pfronten nicht vorbeikommst, ist Heu. Klingt erstmal banal. Aber hier haben sie das "Bergwiesenheu" quasi zum Heiligtum erklärt. Und das zu Recht. Die Wiesen rund um die 13 Dörfer werden oft erst spät im Jahr gemäht, damit die Kräuter aussamen können. Das Ergebnis ist ein Heu, das so intensiv duftet, dass man sich am liebsten reinlegen möchte. Und genau das tun die Leute hier auch. Die "Heukur" ist eine Pfrontener Spezialität. Du wirst dabei in feuchtes, warmes Heu eingewickelt und schwitzt. Das soll gegen Rheuma helfen und entspannen.
Ich war anfangs skeptisch. Sich in altes Gras wickeln zu lassen, klingt nach einem Juckreiz-Albtraum. Aber es ist überraschend angenehm. Die ätherischen Öle werden durch die Wärme freigesetzt, und du riechst nach Sommer, auch wenn draußen November ist. Viele Hotels haben sich darauf spezialisiert. Es gibt Heu-Suppe, Heu-Schnaps und wahrscheinlich irgendwo auch Heu-Schokolade. Manchmal übertreiben sie es ein bisschen mit dem Marketing, aber der Kern der Sache ist ehrlich: Die Nutzung der lokalen Ressourcen. Kein importiertes Lotusblütenöl, sondern das, was vor der Haustür wächst.
Draußen sein: Der Breitenberg und der Kofel
Wenn du kein Fan von Wellness bist, dann geh raus. Der Breitenberg ist der Hausberg der Pfrontener. Die Breitenbergbahn nimmt dir die ersten Höhenmeter ab, was ganz angenehm ist, aber oben musst du laufen. Der Weg zur Ostlerhütte ist ein Klassiker. Die Hütte thront ganz oben auf dem Grat. Wenn du dort auf der Terrasse sitzt und eine Kaspressknödelsuppe isst, hast du Tirol im Rücken und das flache Voralpenland vor der Nase. Der Blick reicht an klaren Tagen bis zum Ammersee. Was auffällt: Der Berg ist im Sommer wie im Winter belebt, aber selten überlaufen. Es verteilt sich gut.
Ein kleiner Geheimtipp für eine kurze Runde ist der Pfrontener Hausberg "Kofel" in Pfronten-Dorf (ja, einer der Ortsteile heißt wirklich einfach nur Dorf). Der Aufstieg ist kurz und knackig, oben steht ein Kreuz, und du hast den besten Überblick über das 13-Dörfer-Puzzle. Von hier oben verstehst du die Struktur erst richtig. Du siehst, wie die Vils die Teile verbindet und wie die Eisenbahnlinie sich durch das Tal schneidet. Es ist der perfekte Ort, um den Sonnenuntergang abzuwarten, wenn die Lichter in den verstreuten Häusern angehen.
Essen und Trinken: Bodenständig bis raffiniert
Kulinarisch ist Pfronten solide aufgestellt. Erwarte keine molekulare Küche an jeder Ecke, aber ehrliches Handwerk. Die Braugasthöfe servieren das übliche Repertoire: Kässpatzen, Schweinsbraten, Maultaschen. Aber die Qualität stimmt meistens. Ein Phänomen ist, dass du in fast jedem Ortsteil mindestens eine wirklich gute Wirtschaft findest. Man muss also nicht immer nach Ried fahren. Probier unbedingt den lokalen Bergkäse. Es gibt mehrere Sennereien, die man besuchen kann. Der Käse hier ist oft würziger als der milde Standard aus dem Supermarkt. Er hat Kanten, genau wie die Landschaft.
Interessant ist auch die Dichte an kleinen Cafés, die in den letzten Jahren aufgeploppt sind. Oft geführt von jungen Leuten, die nach dem Studium zurückgekommen sind. Da gibt es dann Flat White und veganen Kuchen in einer Stube, die vor 50 Jahren noch ein Kuhstall war. Diese Mischung macht Spaß. Man merkt, dass der Ort nicht stehengeblieben ist. Die Pfrontener sind stolz auf ihre Tradition, aber sie ruhen sich nicht darauf aus. Das "Mächler"-Gen sorgt dafür, dass immer wieder was Neues ausprobiert wird.
Praktische Tipps für das Puzzle
Wie bewegt man sich nun in diesem dezentralen Ort? Ein Auto hilft, ist aber kein Muss. Es gibt Busse, und die "PfrontenCard" (die Gästekarte) macht die Nutzung oft kostenlos. Aber Vorsicht: Die Taktung ist am Wochenende oder spät abends manchmal etwas, sagen wir, lückenhaft. Wer gut zu Fuß ist oder ein Fahrrad hat, ist klar im Vorteil. Die Wege zwischen den Ortsteilen sind flach, da das Tal recht breit ist. Ein E-Bike zu mieten, ist die wahrscheinlich schlauste Investition für den Aufenthalt. So kommst du schnell von Steinach nach Röfleuten, ohne ins Schwitzen zu kommen.