Unterallgäu & Wellnessregion

Flussabwärts ins Glück: Eine Radreise auf dem Iller-Radweg von Oberstdorf bis Kempten

Wer behauptet, Radfahren im Allgäu bedeute zwangsläufig brennende Waden, hat diese Route schlicht vergessen. Von der alpinen Quelle bis zur Allgäu-Metropole rollt es sich fast wie von selbst, während die massiven Felswände langsam im Rückspiegel verschwinden.

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Zwischenablage

Es beginnt alles andere als spektakulär, fast schon bescheiden, nördlich von Oberstdorf. Wer den Startpunkt sucht, muss die Nase in den Wind halten und dem Rauschen folgen. Hier, am sogenannten Illerursprung, veranstalten die drei Gebirgsbäche Breitach, Stillach und Trettach ein ziemlich nasses Familientreffen. Sie fließen zusammen und beschließen ab diesem Punkt, als "Iller" weiterzumachen. Ein Ort, an dem man kurz innehalten kann, vielleicht ein Foto von der modernen Metallskulptur machen sollte, die den Zusammenfluss symbolisiert, aber lange bleibt hier kaum jemand stehen. Die Luft ist hier oben, auch im Hochsommer, oft noch frisch und riecht nach feuchtem Moos und kaltem Stein. Man zieht den Reißverschluss der Windjacke lieber noch ein Stück höher.

Der Blick zurück ist eigentlich der wichtigere als der nach vorn. Im Süden bauen sich die Allgäuer Hochalpen auf wie eine massive Wand. Das Rubihorn, markant und klotzig, dominiert die Szenerie, während man den ersten Tritt in die Pedale gibt. Es ist ein befreiendes Gefühl, zu wissen, dass die Schwerkraft heute auf der eigenen Seite ist. Zwar ist das Gefälle mit dem bloßen Auge kaum wahrnehmbar, aber die Beine merken es. Man rollt leichter. Der Untergrund wechselt hier gerne mal zwischen feinem Schotter und festem Waldboden. Es knirscht rhythmisch unter den Reifen, ein Geräusch, das fast meditativ wirkt, wenn nicht gerade eine Gruppe E-Biker im Tiefflug vorbeisurrt. Das gehört mittlerweile dazu, man grüßt sich kurz, meistens freundlich, manchmal hektisch.

Zwischen Auwald und Kuhweide

Der Weg führt zunächst an Fischen vorbei. Der Ort selbst bleibt meist links liegen, versteckt hinter einem Damm und dichten Baumreihen. Was man sieht, ist der Auwald. Es ist erstaunlich grün, fast dschungelartig wuchert hier die Pestwurz am Wegesrand, deren riesige Blätter bei einem plötzlichen Schauer durchaus als Regenschirmersatz taugen würden. Die Iller führt hier oft jenes milchige, graublaue Wasser, das Geologen "Gletschermilch" nennen, auch wenn echte Gletscher im Einzugsgebiet mittlerweile Mangelware sind. Es ist der feine Gesteinsabrieb, der dem Fluss diese fast künstlich wirkende Farbe verleiht.

Rechter Hand, also im Osten, begleiten einen die Sonnenköpfe. Das Gelände ist hier weitläufiger als in den engen Tälern bei Oberstdorf. Man passiert Sonthofen, die südlichste Stadt Deutschlands. Wer genau hinsieht, erkennt auf einer Anhöhe die Generaloberst-Beck-Kaserne, die ehemalige Ordensburg. Ein massiver, historisch belasteter Bau, der wie eine Trutzburg über dem Tal thront und einen seltsamen Kontrast zur friedlichen Flusslandschaft bildet. Hier in der Gegend ist der Radweg oft breit wie eine Landstraße. Man kommt gut voran, muss kaum bremsen, höchstens mal für eine Kuh, die auf der angrenzenden Weide neugierig den Kopf durch den Zaun steckt. Der Geruch wechselt schlagartig von feuchtem Flusswasser zu schwerer Landluft. Das ist Allgäu pur, ganz ohne Kitsch, einfach nur landwirtschaftliche Realität.

Die Sache mit dem Wind und dem Wasser

Ein interessantes Phänomen, das in keinem Hochglanzprospekt steht, ist der Talwind. Tagsüber, wenn sich die Hänge erwärmen, zieht die Luft oft talaufwärts. Das bedeutet für den Radler auf dem Weg nach Norden: Gegenwind. Nicht stürmisch, aber stetig. Man muss also doch ab und zu treten, das "fast ohne Höhenmeter" ist eben nur die halbe Wahrheit. Aber keine Sorge, es bleibt machbar. Ein bisschen Sport darf es ja sein.

Bei Blaichach wird die Iller breiter. Das Wasser beruhigt sich, fließt träger. Hier lohnt sich ein kurzer Stopp am Inselsee. Eigentlich sind es zwei Seen, entstanden durch Kiesabbau, heute ein Mekka für Wasserskifahrer. Man kann sich auf eine Bank hocken, die Beine ausschütteln und zusehen, wie Anfänger auf den Brettern wackelig ihre Runden drehen oder spektakulär ins Wasser klatschen. Es hat etwas Beruhigendes, anderen bei der Anstrengung zuzusehen, während man selbst am Müsliriegel kaut. Die Gastronomie dort ist solide, nix Gehobenes, aber eine Portion Pommes geht immer.

Hinter Immenstadt, das man ebenfalls nur tangiert, ändert sich der Charakter der Landschaft erneut. Der "Wächter des Allgäus", der Grünten, schiebt sich ins Bild. Mit seinem Sendemast auf dem Gipfel sieht er aus wie ein riesiger Maulwurfshügel mit Antenne. Er bleibt lange sichtbar, ist Orientierungspunkt und Postkartenmotiv zugleich. Der Radweg verläuft jetzt mal links, mal rechts der Iller. Brücken gibt es genug. Manche sind alte Stahlkonstruktionen, die bei der Überfahrt scheppern, andere moderne Betonspangen. Es ist fast egal, welche Uferseite man wählt, die Qualität des Weges bleibt konstant gut.

Industriekultur trifft Naturidylle

Es wäre gelogen zu behaupten, man fahre nur durch unberührte Natur. Das Illertal ist eine Lebensader, auch für die Industrie. Kurz vor Kempten, in der Gegend um Martinszell und Hegge, wird es geschäftiger. Man hört das Rauschen der Schnellstraße B19, die sich ebenfalls durch das Tal zwängt. Manchmal fahren Züge parallel zum Radweg, die Regionalbahn überholt einen mit einem freundlichen Hupen oder auch einfach nur laut ratternd. Hier sieht man Fabrikhallen, Wasserkraftwerke und Wehre. Die Iller wird hier zur Arbeit verpflichtet, ihr Wasser treibt Turbinen an.

Doch diese Abschnitte sind kurz. Spannend ist dabei, dass gerade diese Mischung aus Industriekultur und Flusslandschaft ihren eigenen Reiz hat. Die alten Wehranlagen mit ihren schweren Ketten und Zahnrädern sind faszinierende Zeugen der Ingenieurskunst. Zudem staut sich das Wasser vor den Wehren zu spiegelglatten Flächen auf, in denen sich bei gutem Wetter die Wolken spiegeln. Ein Paradies für Vögel. Graureiher stehen hier oft regungslos am Ufer wie bestellte Statisten und warten auf unvorsichtige Fische. Wenn man leise rollt, bleiben sie stehen. Quietscht die Kette, heben sie schwerfällig ab.

Das Finale: Der Illerdurchbruch

Kurz vor Kempten wird es landschaftlich noch einmal dramatisch. Die Iller hat sich hier tief in das Gestein gegraben. Die Ufer werden steiler, fast schluchtartig. Der Wald rückt näher an den Fluss heran, spendet Schatten, was an heißen Tagen ein Segen ist. Die Bäume hängen teilweise schief über dem Wasser, ihre Wurzeln krallen sich verzweifelt in den lehmigen Boden. Es wirkt wilder, ursprünglicher als im breiten Oberlauf.

Und dann: Kempten. Die Einfahrt in die Stadt ist fließend. Erst tauchen einzelne Häuser auf, dann Kleingärten, in denen am Wochenende der Grillrauch steht. Schließlich dominiert städtische Infrastruktur. Der Radweg führt direkt ins Herz der Stadt. Wer bis zur St. Mang-Brücke fährt, hat das Ziel erreicht. Der Blick hinauf zur Basilika und zur Residenz ist der Lohn für die rund 45 Kilometer im Sattel. Kempten, eine der ältesten Städte Deutschlands, empfängt einen nicht mit alpenländischer Gemütlichkeit, sondern mit städtischem Selbstbewusstsein.

Jetzt hat man die Wahl: Entweder man sucht sich einen Biergarten an der Iller und bestellt die obligatorischen Kässpatzen, um die verbrauchten Kalorien sofort wieder (und mit Zinsen) aufzufüllen. Oder man schiebt das Rad noch hoch in die Fußgängerzone. Der Anstieg vom Flussufer in die Innenstadt ist kurz, aber giftig. Da darf man auch schieben, das sieht keiner so eng.

Praktisches für die Rückreise

Ein entscheidender Vorteil dieser Tour ist die Logistik. Man muss kein Held sein, um zurückzukommen. Der Bahnhof in Kempten liegt zwar etwas oberhalb des Zentrums (noch so ein kleiner, gemeiner Anstieg zum Schluss), aber die Züge Richtung Oberstdorf fahren regelmäßig. Die Fahrradmitnahme ist im Allgäu Standard, die Schaffner sind Kummer gewohnt, auch wenn es an sonnigen Wochenenden im Mehrzweckabteil schon mal kuschelig eng werden kann zwischen all den Mountainbikes, E-Bikes und Kinderwagen. Ein Tipp: Wer kann, fährt unter der Woche. Dann gehört einem der Iller-Radweg fast allein, und im Zug bekommt man sogar einen Sitzplatz am Fenster, um die Strecke, die man gerade abgestrampelt hat, noch einmal im Zeitraffer an sich vorbeiziehen zu lassen.

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