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Ohne Auto ins Allgäu? Der Guide für Bahnreisende und Bus-Abenteurer

Vergiss den zähen Stau vor dem Grenztunnel und die Jagd nach überteuerten Parkplätzen. Hier erfährst du, wie du dich zwischen Oberstdorf und Füssen durchschlägst, ohne auch nur einmal den Zündschlüssel zu drehen.

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Zwischenablage

Es hält sich hartnäckig das Gerücht, man sei in den Bergen ohne eigenes Auto aufgeschmissen. Wer das behauptet, stand wahrscheinlich noch nie im Juli bei brütender Hitze auf der B19 vor Fischen im Stau oder hat versucht, am Wochenende einen legalen Stellplatz am Giebelhaus zu finden. Die Realität sieht oft anders aus. Mit dem Auto bist du im Allgäu zwar flexibel, aber du bist auch Teil des Problems. Blechlawinen schieben sich durch enge Täler, Anwohner sind genervt, die Luft wird dicker. Bahnfahren ist hier nicht nur eine ökologische Entscheidung, sondern oft auch die entspanntere. Du steigst aus, die Luft riecht schlagartig anders – eine Mischung aus Dieselresten der Lok und frischem Heu – und der Puls geht runter. Das Allgäu verfügt über ein Netz, das dich überraschen wird, wenn du bereit bist, dich auf den Takt einzulassen.

Natürlich ist nicht alles rosig. Wer behauptet, der ÖPNV auf dem Land funktioniere wie ein Schweizer Uhrwerk, lügt. Es gibt Lücken. Es gibt Busse, die am Wochenende gar nicht fahren. Und es gibt Momente, in denen du dir sehnlichst wünschst, einfach in einen Kofferraum greifen zu können. Aber mit der richtigen Strategie wird die Anreise per Schiene zum eigentlichen Startschuss der Erholung. Der Schlüssel liegt in der Planung und der Wahl des Basislagers.

Das Nadelöhr Buchloe und die Einfallstore

Fast alle Wege führen über Buchloe. Dieser Bahnhof ist der heimliche Nabel der Allgäuer Bahnwelt. Egal ob du aus München, Augsburg oder Zürich kommst, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass du in Buchloe auf dem Bahnsteig stehst und auf den Anschluss wartest. Der Bahnhof selbst gewinnt keine Schönheitswettbewerbe, er ist zweckmäßig, windig und riecht meistens nach Frittierfett vom Kiosk. Aber er funktioniert. Von hier aus fächern sich die Strecken auf: nach Süden Richtung Kempten und Oberstdorf, nach Osten Richtung Memmingen und Lindau, oder ins südöstliche Ostallgäu nach Füssen.

Die Strecke von Buchloe nach Kempten ist landschaftlich der erste Appetithappen. Zuerst ist es flach, fast langweilig, doch dann wellt sich der Boden. Die ersten Hügel tauchen auf, die Kühe stehen nicht mehr im Stall, sondern auf der Weide. Wer aus Richtung Ulm anreist, nimmt die Illertalbahn. Sie zuckelt gemütlich an der Iller entlang. Manchmal so gemütlich, dass man meint, man könnte nebenher joggen. Aber genau das ist der Punkt: Du musst runterschalten. Hektik bringt dich hier nicht weiter.

Kempten ist die "Metropole" der Region. Der Hauptbahnhof liegt leider ein ganzes Stück südlich der Innenstadt. Wer hier seine Basis aufschlägt, hat den Vorteil eines perfekten Knotenpunkts. Busse in alle Richtungen, Züge in alle Himmelsrichtungen. Aber Kempten ist eben auch eine Stadt, kein Bergdorf. Wer das Klischee sucht, muss weiterfahren.

Oberstdorf: Das Musterbeispiel für Autoverweigerer

Wenn es einen Ort gibt, der für Bahnreisende gemacht ist, dann ist es Oberstdorf. Es ist ein Sackbahnhof. Endstation. Weiter geht es nicht, zumindest nicht auf Schienen. Das hat den charmanten Vorteil, dass du mitten im Ort aussteigst. Du fällst quasi aus dem Zug direkt in die Fußgängerzone. Keine Taxifahrt nötig, die meisten Hotels und Ferienwohnungen sind fußläufig erreichbar. Oberstdorf hat verstanden, dass Autos in einem Talkessel nichts zu suchen haben. Große Teile des Zentrums sind autofrei.

Vom Bahnhofsplatz aus startet das Abenteuer Bus. Die Walserbusse, die rüber ins österreichische Kleinwalsertal fahren, takten unglaublich dicht. In der Hochsaison alle zehn Minuten. Das ist U-Bahn-Niveau auf 800 Metern Höhe. Diese Busse sind oft brechend voll, besonders vormittags zwischen 9 und 10 Uhr, wenn alle Wanderer gleichzeitig loswollen. Ein Tipp: Nimm den Bus um 8:30 Uhr oder warte bis nach 10 Uhr. Die Stimmung im Bus ist meistens gut, man kommt ins Gespräch, Rucksäcke werden gestapelt, Hunde hecheln dazwischen. Es ist eng, es ist laut, aber es funktioniert.

Interessant ist die Fahrt ins Stillachtal zur Fellhornbahn. Hier zeigt sich, wie gut Tourismus ohne Auto funktionieren kann. Die Busse spucken Hunderte von Menschen direkt an der Talstation aus. Wer mit dem Auto kommt, zahlt saftige Parkgebühren. Du hingegen wedelst nur mit deiner Gästekarte (dazu später mehr) und steigst aus.

Königscard, Walser-Card und der Dschungel der Tarife

Hier wird es kurz kompliziert, aber es lohnt sich, aufzupassen. Das Allgäu ist ein Flickenteppich aus verschiedenen Verkehrsverbünden und Tourismusorganisationen. Das Ticket, das du am Automaten der Deutschen Bahn kaufst, gilt meistens nicht für den Bus ins nächste Seitental. Aber: Viele Gastgeber bieten sogenannte Gästekarten an, die als Fahrschein gelten.

  • Oberstdorf/Kleinwalsertal: Mit der Allgäu-Walser-Card fährst du auf vielen Linien kostenlos oder stark vergünstigt. In Oberstdorf ist der Ortsbus inklusive.
  • Ostallgäu/Füssen: Hier regiert oft die KönigsCard. Sie ist der heilige Gral für Sparfüchse. Busfahren ist damit in der Regel im gesamten Landkreis und teils darüber hinaus gratis.
  • Bayern-Ticket: Der Klassiker für die Anreise. Gilt in fast allen Regionalbussen (RVA), aber Vorsicht: Bei einigen privaten Busunternehmern oder grenzüberschreitenden Linien (wie ins Tannheimer Tal) wird man dich damit nur mitleidig anlächeln und zur Kasse bitten.

Frage vor der Buchung deiner Unterkunft explizit nach, ob eine solche Karte inkludiert ist. Das spart nicht nur Geld, sondern auch das nervige Kleingekrame beim Busfahrer, der eigentlich gerade losfahren will und keine Lust hat, 50 Euro zu wechseln.

Füssen: Märchenschlösser und Massentourismus

Füssen ist ein anderes Kaliber. Der Bahnhof ist modern, klein und oft überlaufen. Wer hier aussteigt, will meistens zu König Ludwig. Die Busse zu den Schlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau (Linie 73 und 78) sind das absolute Nadelöhr. Hier drängeln sich Rucksacktouristen aus den USA mit Tagesausflüglern aus München. Es geht zu wie auf einem Basar. Wenn du clever bist, meidest du diese Busse zu den Stoßzeiten. Oder noch besser: Du gehst zu Fuß. Vom Bahnhof Füssen führt ein Wanderweg in gut einer Stunde rüber nach Hohenschwangau. Ruhig, schattig, entspannt.

Abseits des Schloss-Trubels ist das Ostallgäu bahntechnisch etwas dünner versorgt als das Oberallgäu. Die Züge der BRB (Bayerische Regiobahn) fahren zwar zuverlässig nach Kaufbeuren und Augsburg, aber wer quer rüber nach Garmisch oder Reutte (Tirol) will, muss in den Bus steigen oder die Außerfernbahn nutzen. Letztere ist ein landschaftliches Juwel, zuckelt aber eher gemächlich durchs Tal. Man braucht Geduld.

Die "Letzte Meile" und der Rufbus

Das größte Problem für Bahnreisende ist nicht der Weg von München nach Kempten, sondern der Weg vom Bahnhof zur abgelegenen Ferienwohnung am Berghang. "Die letzte Meile" nennt das der Fachmann. Hier kommt der Allgäuer Busfahrer ins Spiel. Er ist eine Instanz. Oft etwas wortkarg, manchmal bockig, aber er kennt jede Kurve und jeden Schlagloch. Ein freundliches "Grüß Gott" beim Einsteigen ist Pflicht. Wer das vergisst, wird ignoriert.

Für die ganz abgelegenen Ecken gibt es zunehmend Rufbusse oder Anrufsammeltaxis (AST). Das Prinzip: Du rufst eine Stunde vorher an (oder nutzt neuerdings Apps), und ein Kleinbus holt dich ab. Das System ist genial, leidet aber an seiner Unbekanntheit. Viele Touristen trauen sich nicht, dort anzurufen. Tu es. Die Fahrer sind meistens Einheimische, die dir während der Fahrt die Lebensgeschichte des halben Dorfes erzählen, wenn du sie lässt.

Lindau: Wo die Bahn übers Wasser kommt

Ein ganz besonderes Erlebnis ist die Ankunft in Lindau-Insel. Der Zug fährt über einen Damm direkt auf die Insel im Bodensee. Links und rechts Wasser, Segelboote, Alpenpanorama. Der Bahnhof selbst ist ein historisches Schmuckstück, direkt am Hafen. Du steigst aus und stehst quasi vor dem Bayerischen Löwen. Besser geht es nicht. Lindau ist perfekt angebunden – auch mit dem Schiff nach Bregenz oder Konstanz. Das Hinterland, das Westallgäu, ist allerdings hügelig und bahnfrei. Hier bist du auf den Bus angewiesen (Linien Richtung Lindenberg/Weiler). Die Takte sind okay, aber abends wird es früh dunkel im Fahrplan.

Gepäck: Ballast abwerfen

Seien wir ehrlich: Mit zwei riesigen Rollkoffern und einer Skiausrüstung macht Bahnfahren keinen Spaß. Die Regionalzüge (RE) sind zu Pendlerzeiten voll. Stauraum ist Mangelware. Wenn du es dir leisten kannst, schick das schwere Zeug voraus. Die Deutsche Bahn und Hermes bieten Gepäckservices an. Nichts ist befreiender, als nur mit einem kleinen Tagesrucksack aus dem Zug zu springen und direkt die erste Wanderung zu starten, während der Koffer schon im Hotel wartet.

Solltest du das Gepäck doch mitschleppen: Schließfächer sind an kleinen Bahnhöfen (Immenstadt, Sonthofen) oft Mangelware oder defekt. In Kempten, Oberstdorf und Lindau wirst du fündig, aber verlass dich nicht blind darauf. Ein Anruf bei der lokalen Tourist-Info vorab kann dir viel Schlepperei ersparen.

Wetterfühligkeit und Plan B

Das Allgäu ist bekannt für seine schnellen Wetterwechsel. "Es zieht zu", sagt der Einheimische, und zehn Minuten später schüttet es. Wenn du ohne Auto bist, bist du dem Wetter stärker ausgesetzt. Eine Bushaltestelle im strömenden Regen an einer Landstraße ist ein trostloser Ort. Gute Kleidung ist Pflicht. Aber auch ein Plan B. Wenn der Wanderbus wegen Schneefall im Oktober nicht zum Pass fährt, musst du flexibel sein. Museen in Kempten, die Therme in Oberstdorf oder das Schlossmuseum in Füssen sind gut mit Öffis erreichbar.

Bahnfahren im Allgäu ist eine Haltung. Es ist die Entscheidung gegen die Hektik und für das bewusste Reisen. Du siehst mehr. Du siehst die Rückseiten der Häuser, die Gärten, die Industriebrachen und die unberührten Moore, an denen die Straße vorbeiführt. Du hörst die Region. Und manchmal, wenn der Zug auf freier Strecke kurz hält und es ganz still wird, spürst du sie auch.

Das Wichtigste im Überblick

Falls du jetzt Lust bekommen hast, dein Auto stehen zu lassen, hier noch ein paar handfeste Fakten für die Hosentasche:

  • Apps: Der "DB Navigator" ist unverzichtbar, aber lade dir auch die App "mona Ticket" (für Kempten/Oberallgäu) herunter. Sie zeigt oft Busverbindungen an, die die Bahn-App verschweigt.
  • Taktung: Hauptstrecken werden meist stündlich bedient. Nebenstrecken und Busse oft auch, aber mit Lücken am Mittag und am späten Abend. Nach 20 Uhr wird es auf dem Dorf kritisch.
  • Fahrradmitnahme: Möglich, aber in der Hochsaison stressig. Die Züge sind voll. Leih dir lieber vor Ort ein E-Bike. Die Qualität der Leihräder ist mittlerweile exzellent.

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