Oberallgäu & Allgäuer Alpen

Auf den Spuren der Antike im Archäologischen Park Cambodunum

Wer wissen will, wie die Römer nördlich der Alpen lebten, muss einfach auf den Lindenberg steigen. Kempten zeigt hier ganz unaufgeregt, aber gewaltig, wo der historische Hammer hängt.

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Zwischenablage

Es pfeift oft ein etwas ruppiger Wind hier oben. Wenn man auf dem Hochufer der Iller steht, den Blick in Richtung der oft noch schneebedeckten Alpenkette gerichtet, versteht man schnell, warum sich die Römer genau diesen Platz ausgesucht haben. Strategisch ist das nämlich ein genialer Schachzug gewesen. Das heutige Kempten, oder besser gesagt Cambodunum, war vor rund 2000 Jahren nicht irgendein Kaff am Rande des Imperiums, sondern die erste Hauptstadt der Provinz Raetien. Bevor Augsburg den Rang ablief, wurde hier Politik gemacht. Und genau das spürt man im Archäologischen Park Cambodunum (APC). Es ist kein staubiges Museum, in dem man leise husten muss, um nicht schief angeschaut zu werden. Es ist ein Gelände, auf dem man läuft, wo schon Legionäre und Händler liefen.

Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen. Während anderswo noch in Lehmhütten gehaust wurde, plante man hier am Reißbrett eine Rasterstadt. Die Diskussion, ob nun Trier, Worms oder Kempten die absolut älteste Stadt Deutschlands ist, wird unter Historikern oft mit harten Bandagen geführt. Aber Kempten hat ein Ass im Ärmel, und das ist der griechische Geograf Strabo. Der erwähnte "Kambodounon" schriftlich schon um das Jahr 18 n. Chr. Das steht schwarz auf weiß (oder eher Tinte auf Pergament). Damit ist die Sache für die Allgäuer eigentlich geritzt. Stolz sind sie drauf, die Kemptener, auch wenn sie es oft hinter einer brummigen Bescheidenheit verstecken.

Der Gallorömische Tempelbezirk: Farbe bekennen

Wenn du den Park betrittst, zieht der Tempelbezirk den Blick fast magisch an. Das liegt nicht nur an den Ruinen, sondern an dem, was man daraus gemacht hat. Archäologen haben hier nämlich Mut zur Farbe bewiesen. Ein Teil der Anlage wurde rekonstruiert, und zwar so, wie man es sich wissenschaftlich fundiert vorstellt. Da steht er nun, der Umgangstempel, in leuchtendem Rot und Weiß, mit bemalten Säulen, die fast schon ein bisschen kitschig wirken würden, wüsste man nicht, dass die Antike eben verdammt bunt war. Wir sind es gewohnt, römische Ruinen in erhabenem Steingrau zu sehen. Quatsch, sagen die Experten hier. Die Römer mochten es knallig.

Der Tempelbezirk war das religiöse Herz. Hier vermischten sich römische Götter mit den lokalen keltischen Gottheiten. Das ist typisch für die pragmatische Art der Römer. Warum die einheimischen Götter verärgern, wenn man sie einfach "romanisieren" kann? Herkules wurde hier verehrt, wahrscheinlich als Beschützer der Reisenden und Händler. Wenn man heute über die hölzernen Stege läuft, die über die originalen Fundamente führen, riecht es an warmen Tagen nach trockenem Gras und dem aufgeheizten Stein. Es hat etwas Friedliches, fast Meditatives. Man kann sich gut vorstellen, wie hier Opfergaben dargebracht wurden, vielleicht ein Schluck Wein oder ein Stück Fleisch, in der Hoffnung auf gute Geschäfte oder eine sichere Reise über die Alpenpässe.

Was mir persönlich besonders auffiel, war die Akustik innerhalb der rekonstruierten Portikus (Säulenhalle). Der Lärm der modernen Stadt unten im Tal wird gedämpft, fast ausgeblendet. Man ist in einer eigenen Blase. Die Archäologen haben hier nicht einfach Steine aufeinandergeschichtet, sondern einen Raum geschaffen, der das Gefühl von damals transportiert. Es wirkt nicht wie eine Kulisse für einen Sandalenfilm, sondern massiv, echt, greifbar. Man darf die Wände anfassen. Der Putz ist rau, die Farbe satt.

Wellness auf Römisch: Die Kleinen Thermen

Gleich nebenan, und das ist nur einen kurzen Fußmarsch über den gepflegten Rasen entfernt, liegen die Kleinen Thermen. "Klein" ist hier relativ. Für den Statthalter, der hier residierte, war es der private Spa-Bereich. Luxus pur. Wer glaubt, Fußbodenheizung sei eine Erfindung der Neuzeit, wird hier eines Besseren belehrt. Das Hypokaustensystem ist so gut erklärt und in den Ruinen sichtbar, dass jeder Heizungsinstallateur vor Neid erblassen müsste. Heiße Luft zirkulierte unter den Böden und durch hohle Ziegel in den Wänden. Man muss sich das mal vorstellen: Draußen liegt der Allgäuer Schnee, es hat minus zehn Grad, und drinnen sitzt der Römer im Warmen, schwitzt und lässt sich massieren.

Besonders spannend ist der Kontrast. Man sieht die nackten Ziegelpfeiler, die den Boden trugen (die Suspensura). Es sieht technisch aus, fast industriell. Die Informationstafeln helfen dabei, das Bild im Kopf zu vervollständigen. Man sieht quasi den Dampf aufsteigen, hört das Plätschern des Wassers und das Klappern der Holzschuhe. Ein Detail, das oft übersehen wird, sind die Reste der Wandmalereien. Auch hier: Bunt, verspielt, fast schon modern in den Mustern. Es ging nicht nur um Hygiene, es ging um Repräsentation. "Seht her, ich kann es mir leisten, mitten in der Wildnis warmes Wasser zu haben." Das war das Statement.

Die Anlage ist durch eine moderne Schutzhalle überdacht. Das ist gut so, denn das Allgäuer Wetter kennt keine Gnade mit antikem Mauerwerk. In der Halle ist es oft kühl und schattig, was im Sommer eine Wohltat ist. Das Licht fällt gedämpft herein, was die Konturen der Ruinen schärfer hervortreten lässt. Manchmal finden hier Veranstaltungen statt, Lesungen oder kleine Konzerte. Die Akustik zwischen den alten Mauern ist erstaunlich gut, fast intim.

Das Forum: Marktplatz der Eitelkeiten

Ein Stück weiter erstreckt sich das Forum mit der Basilika. Um die Dimensionen zu begreifen, muss man ein bisschen laufen. Das Forum war der Marktplatz, das Zentrum der Macht, der Ort, wo man gesehen wurde. Die Basilika diente als Gerichtshalle und Börse. Die Ausmaße sind gigantisch für eine Provinzstadt. Die Archäologen haben hier keine vollständigen Gebäude hingestellt, das wäre zu viel des Guten gewesen. Stattdessen markieren Fundamente und Hecken die Grundrisse. Das erfordert ein bisschen mehr Fantasie, gibt dem Ort aber auch eine gewisse Weite. Man steht auf einer riesigen Wiese, und wenn man die Augen zusammenkneift, sieht man die Togen flattern.

Es ist dieser Freiraum, der den APC so besonders macht. In anderen Museen drängelt man sich an Vitrinen vorbei. Hier hat man Platz. Kinder rennen über die Wiesen (was ausdrücklich erlaubt ist), Hunde schnüffeln an 2000 Jahre alten Steinen (natürlich an der Leine). Es ist ein Park im wahrsten Sinne des Wortes. Die Verbindung von Naherholungsgebiet und archäologischer Stätte ist hier ziemlich gut geglückt. Manchmal sitzt eine Gruppe Jugendlicher auf den Mauern und quatscht. Genau das haben die römischen Teenager vermutlich auch gemacht. Geschichte wiederholt sich eben doch, zumindest im Sozialverhalten.

Hier stand auch das Praetorium, der Amtssitz des Statthalters. Wenn man bedenkt, dass von hier aus zeitweise ein Gebiet verwaltet wurde, das bis zur Donau reichte, bekommt der Ort eine gewisse Schwere. Entscheidungen über Leben und Tod, über Steuern und Straßenbau fielen genau hier, wo jetzt Gänseblümchen wachsen. Das ist schon ein irres Gefühl.

Vom Scherbenhaufen zum Museumsschatz

Natürlich gibt es auch klassische Ausstellungsbereiche. Aber auch die sind im APC etwas anders. Im "Schichtwerk" kann man Archäologie live erleben. Es wird gezeigt, wie mühsam es ist, die Geschichte aus dem Boden zu kratzen. Man sieht nicht nur die Goldmünze, sondern auch den Dreck, in dem sie lag. Das erdet die ganze Sache. Tonscherben, verrostete Werkzeuge, Haarnadeln aus Knochen. Es sind die Alltagsgegenstände, die berühren. Eine Haarnadel erzählt mehr über das Leben einer Römerin als eine Marmorbüste des Kaisers.

Interessant ist die Geschichte der Ausgrabungen selbst. Schon im 19. Jahrhundert fing man an zu graben. Kempten wusste immer um sein Erbe, auch wenn man manchmal etwas pragmatisch damit umging und Steine der Ruinen für den Bau von Ställen nutzte. Recycling auf Allgäuerisch, könnte man sagen. Heute ist man da sensibler. Jeder Spatenstich im Stadtgebiet wird von Archäologen begleitet. Das nervt zwar manchen Bauherrn, freut aber die Historiker.

Kulinarik und lebendige Geschichte

Wer vom vielen Laufen Hunger bekommt, sollte unbedingt bei der Taberna vorbeischauen. Hier wird versucht, römische Küche nachzubarren. Und nein, das sind nicht nur in Honig eingelegte Siebenschläfer (die gibt es da meines Wissens nach auch gar nicht). Es geht um Moretum (eine Art Kräuterkäse, der erstaunlich gut schmeckt), um Mulsum (Gewürzwein) und römisches Fladenbrot. Der Geschmack ist für unseren Gaumen manchmal etwas ungewohnt. Die Römer liebten "Garum", eine Fischsauce, die sie fast überall reikippten. In der Taberna ist man da zum Glück etwas zurückhaltender, damit der moderne Mitteleuropäer nicht fluchtartig das Weite sucht.

Besonders lebendig wird der Park, wenn Veranstaltungen wie das Römerfest anstehen. Dann laufen hier Legionäre in voller Montur rum, Handwerker zeigen, wie man Schuhe nagelt oder Kettenhemden knüpft. Das mag für den puristischen Akademiker vielleicht nach Jahrmarkt aussehen, aber es funktioniert. Es macht Geschichte greifbar, besonders für Kinder. Wenn man mal so ein Kettenhemd hochgehoben hat, weiß man, was die Soldaten geleistet haben. Das wiegt nämlich ordentlich was.

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