Oberallgäu & Allgäuer Alpen

Kempten: Warum die "Metropole des Allgäus" viel mehr ist als nur eine Einkaufsstadt

Kempten ist älter als du denkst und vielseitiger, als der erste Eindruck vermuten lässt. Zwischen römischen Fundamenten und barocken Prachtbauten hat sich hier eine Atmosphäre entwickelt, die irgendwo zwischen alpenländischer Gemütlichkeit und mediterranem Lebensgefühl pendelt.

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Zwischenablage

Kempten macht es einem nicht immer leicht. Wer mit dem Zug ankommt und durch die Bahnhofstraße in Richtung Altstadt läuft, könnte zunächst denken: nette Einkaufsstadt, solide Architektur, aber wenig Spektakuläres. Die typischen Filialen reihen sich aneinander, zwischen Kaufhäusern schieben sich Fußgänger durch die Innenstadt. Erst auf den zweiten Blick zeigt sich, was Kempten eigentlich ausmacht. Und dieser zweite Blick lohnt sich.

Die Stadt an der Iller ist nämlich keine x-beliebige bayerische Provinzstadt mit Bergpanorama im Hintergrund. Kempten kann auf eine über 2000-jährige Geschichte zurückblicken und war einst eine der bedeutendsten römischen Siedlungen nördlich der Alpen. Cambodunum hieß der Ort damals, und die Reste dieser Epoche liegen buchstäblich unter den Füßen der heutigen Bewohner. Zwischen Espressobars und Boutiquen verbergen sich archäologische Schätze, die andernorts ganze Touristenströme anziehen würden. Hier gehören sie einfach dazu.

Cambodunum: Als Kempten noch römisch war

Im Archäologischen Park Cambodunum lässt sich erahnen, wie bedeutend diese Siedlung einmal gewesen sein muss. Die Anlage erstreckt sich über mehrere Hektar und zeigt Grundmauern von Tempeln, Thermen und einem Forum. Besonders eindrucksvoll sind die rekonstruierten Teile der Thermenanlage. Hier badeten römische Soldaten und Händler, die entlang der wichtigen Handelsroute zwischen Italien und dem germanischen Grenzgebiet unterwegs waren. Dass ausgerechnet hier, im heutigen Allgäu, solch eine Pracht entstand, mutet fast surreal an.

Der Archäologische Park liegt ein Stück außerhalb des Stadtzentrums im Stadtteil Cambodunum, ist aber gut zu Fuß oder mit dem Bus zu erreichen. Im Sommer finden hier immer wieder römische Feste statt, bei denen Gladiatoren kämpfen und Legionäre durch die Ruinen marschieren. Das mag touristisch klingen, ist aber tatsächlich unterhaltsam und vermittelt einen lebendigen Eindruck von der römischen Vergangenheit. Der Eintritt kostet moderate fünf Euro, und wer Zeit hat, sollte auch das kleine Museum besuchen, in dem Fundstücke aus der Region ausgestellt sind. Münzen, Schmuck, Werkzeuge. Alltägliches, das plötzlich 2000 Jahre alt ist.

Die Residenz: Barocke Pracht mit weltlichem Anspruch

Nach den Römern kamen die Fürsten. Oder genauer gesagt: die Fürstäbte. Die Residenz Kempten ist eines der ersten großen barocken Bauwerke in Deutschland und zeugt vom Selbstbewusstsein der geistlichen Herrscher, die hier im 17. Jahrhundert residierten. Fürstabt Roman Giel von Gielsberg ließ den Prunkbau errichten, und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Prunkräume im Inneren sind mit Stuck, Fresken und vergoldeten Ornamenten verziert, dass man sich unwillkürlich fragt, wie sich das mit dem geistlichen Armutsgelübde vertrug. Aber so war das eben im Barock: Gott wurde durch Prunk geehrt, und nebenbei demonstrierte man weltliche Macht.

Die Führungen durch die Residenz sind empfehlenswert, weil sie nicht nur die Pracht zeigen, sondern auch die komplizierten Machtverhältnisse erklären, die Kempten jahrhundertelang prägten. Die Stadt war nämlich geteilt: Hier die fürstäbtische Residenzstadt, dort die freie Reichsstadt. Zwei Verwaltungen, zwei Rechtssysteme, eine Stadt. Diese Teilung wurde erst 1818 aufgehoben, und noch heute sind die beiden ehemaligen Stadthälften in der Architektur spürbar. Die Prunkräume der Residenz stehen in starkem Kontrast zu den bürgerlichen Häusern der ehemaligen Reichsstadt.

Italienisches Lebensgefühl mitten im Allgäu

Was Kempten von vielen anderen Allgäustädten unterscheidet, ist eine gewisse südländische Lässigkeit, die sich schwer in Worte fassen lässt. Vielleicht liegt es an der Nähe zu Italien, vielleicht auch an den vielen italienischen Einwanderern, die seit den 1960er Jahren hierhergezogen sind und ihre Spuren hinterlassen haben. Jedenfalls gibt es in Kempten eine bemerkenswerte Dichte an italienischen Restaurants, Eisdielen und Cafés, die nicht nur touristisches Beiwerk sind, sondern echte Treffpunkte der Einheimischen.

Besonders im Sommer, wenn die Sonne die Fassaden der Altstadt aufheizt, entfaltet sich dieses mediterrane Flair. Die Leute sitzen draußen, trinken Aperol Spritz oder Espresso, und für einen Moment könnte man meinen, man wäre irgendwo in Norditalien. Der Hildegardplatz ist so ein Ort. Klein, unspektakulär, aber mit Charme. Hier trifft sich am Abend eine bunte Mischung aus Studenten, Familien und älteren Semestern, die den Tag ausklingen lassen. Die Orangerie, ein Café mit angeschlossenem Restaurant, serviert gute Pizza und hat im Sommer eine angenehme Außenterrasse.

Auch die Marktszene trägt zu diesem Eindruck bei. Der Wochenmarkt auf dem Hildegardplatz bietet neben regionalem Obst und Gemüse auch italienische Spezialitäten: Oliven, Antipasti, frische Pasta. Die Händler rufen ihre Angebote aus, und man kommt schnell ins Gespräch. So läuft das hier.

Zwischen Konsum und Kultur

Klar, Kempten ist auch eine Einkaufsstadt. Das Forum Allgäu, ein großes Shoppingcenter direkt am Bahnhof, zieht Menschen aus der ganzen Region an. An Samstagen kann es in der Fußgängerzone schon mal eng werden. Aber das ist nur eine Facette. Wer sich die Zeit nimmt, durch die Seitengassen zu schlendern, entdeckt kleine Buchläden, Manufakturen und Ateliers, die dem Mainstream trotzen. Der Kunstverein Kempten zeigt in wechselnden Ausstellungen zeitgenössische Kunst, und das Alpine Museum widmet sich der Geschichte des Alpinismus und der Allgäuer Kulturgeschichte. Beides sind keine Blockbuster-Attraktionen, aber sie runden das Bild einer Stadt ab, die mehr sein will als nur Handelsplatz.

Das Stadttheater Kempten hat ein kleines, aber feines Programm. Von klassischen Theaterstücken über Musicals bis hin zu Kabarett ist alles dabei. Die Atmosphäre im Saal ist intim, und man sitzt oft nur wenige Meter von der Bühne entfernt. Solche Erlebnisse gibt es in größeren Städten selten, und genau das macht den Charme von Kempten aus: Man ist nah dran, ohne dass es provinziell wirkt.

Kulinarische Streifzüge

Die Allgäuer Küche ist deftig, keine Frage. Kässpätzle, Schnitzel, Schweinebraten. In Kempten bekommt man das alles in solider Qualität, aber die Stadt bietet eben auch mehr. Neben den bereits erwähnten italienischen Lokalen gibt es eine wachsende Zahl an Restaurants, die regionale Zutaten auf moderne Art interpretieren. Das Peterhof am Stadtrand ist so ein Fall: gehobene Küche, saisonal ausgerichtet, mit einem schönen Garten für laue Sommerabende. Hier wird Wert auf Qualität gelegt, und das schmeckt man.

Wer es einfacher mag, sollte sich in die kleinen Wirtshäuser der Altstadt begeben. Die Stiftskeller-Brauerei serviert eigenes Bier und herzhafte Gerichte in rustikalem Ambiente. Der Biergarten im Innenhof ist an sonnigen Tagen gut besucht, aber nicht unangenehm überlaufen. Hier sitzen Bauarbeiter neben Geschäftsleuten, und alle scheinen zufrieden zu sein. So funktioniert Kempten.

Für den kleinen Hunger zwischendurch gibt es zahlreiche Bäckereien und Metzgereien, die Leberkässemmeln, belegte Brezen und andere Snacks anbieten. Die Qualität ist durchweg hoch, denn die Allgäuer legen Wert auf gutes Handwerk. Ein Besuch beim Metzger Mangold lohnt sich allein schon wegen der hausgemachten Würste.

Draußen sein: Die Iller und die Umgebung

Kempten liegt an der Iller, und der Fluss prägt das Stadtbild mehr, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Am Illerradweg lässt sich wunderbar entlang radeln oder spazieren, und im Sommer sieht man immer wieder Leute, die im Fluss baden oder mit Stand-up-Paddle-Boards unterwegs sind. Das Wasser ist klar und kühl, typisch für einen Alpenfluss. An den Ufern gibt es viele Grünflächen, die zum Verweilen einladen. Ein Picknick am Illerufer gehört zu den schönsten Dingen, die man in Kempten machen kann.

Wer gerne wandert, hat von Kempten aus unzählige Möglichkeiten. Die Allgäuer Alpen sind in weniger als einer Stunde erreichbar, und auch kleinere Touren in die Hügellandschaft rund um die Stadt sind reizvoll. Der Mariaberg, ein bewaldeter Hügel mit Wallfahrtskirche, bietet einen schönen Blick über die Stadt und die umliegenden Berge. Der Aufstieg ist einfach und dauert keine halbe Stunde, ideal für einen spontanen Ausflug.

Im Winter verwandelt sich die Region in ein Wintersportgebiet, und viele Kemptener fahren am Wochenende zum Skifahren in die nahen Berge. Die Stadt selbst bleibt auch in der kalten Jahreszeit lebendig, vor allem rund um den Weihnachtsmarkt, der zu den stimmungsvollsten in der Region zählt. Die Buden verteilen sich über mehrere Plätze, und es gibt neben Glühwein und Bratwurst auch handwerkliche Produkte aus der Region.

Praktisches und Unerwartetes

Kempten ist gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Der Bahnhof wird regelmäßig von Zügen aus München, Ulm und Lindau angefahren. Von hier aus kommt man in die gesamte Bodenseeregion und nach Österreich. Die Stadt selbst lässt sich bequem zu Fuß erkunden, die meisten Sehenswürdigkeiten liegen in der Altstadt oder sind in wenigen Minuten erreichbar. Ein Stadtbus-Netz ergänzt das Angebot, ist aber für Besucher meist nicht notwendig.

Übernachten kann man in Kempten in allen Preisklassen. Vom einfachen Gasthof bis zum gehobenen Hotel ist alles vorhanden. Das Peterhof, bereits erwähnt wegen seines Restaurants, bietet auch Zimmer in ruhiger Lage. Zentral gelegen ist das Fürstenhof, ein klassisches Stadthotel mit solidem Service. Wer es rustikaler mag, findet in den umliegenden Dörfern zahlreiche Ferienwohnungen und Pensionen.

Ein Tipp für alle, die im Herbst kommen: Das Allgäuer Festwoche ist ein traditionelles Volksfest, das jedes Jahr im August stattfindet. Bierzelte, Fahrgeschäfte, Musik. Es ist laut, es ist voll, aber es gibt kaum etwas, das die Allgäuer Lebensart besser vermittelt. Hier trifft man sich, hier wird gefeiert, und hier zeigt sich, dass Kempten trotz aller Geschichte und Kultur auch einfach eine Stadt ist, in der Menschen leben und Spaß haben wollen.

Fazit ohne Schönfärberei

Kempten ist keine Stadt, die einen sofort umhaut. Es braucht Zeit, um ihre Vorzüge zu entdecken. Die römischen Wurzeln sind beeindruckend, aber sie liegen versteckt. Die barocke Residenz ist prachtvoll, aber sie steht etwas abseits. Das italienische Flair entfaltet sich erst, wenn man sich auf die Stadt einlässt und nicht nur durch die Fußgängerzone hetzt. Genau das macht Kempten aber auch interessant: Es ist eine Stadt für Entdecker, nicht für Durchreisende.

Wer das Allgäu besucht und nur an Berge, Seen und Käse denkt, verpasst etwas. Kempten zeigt, dass die Region auch urbane Qualitäten hat, ohne dabei ihren ländlichen Charakter zu verleugnen. Die Mischung aus Geschichte, Kultur und südländischer Gelassenheit funktioniert erstaunlich gut. Und vielleicht ist es genau diese Mischung, die Kempten zu mehr macht als nur einer Einkaufsstadt mit römischen Ruinen. Es ist eine Stadt, die ihre Identität gefunden hat, ohne sich selbst zu wichtig zu nehmen. Das ist sympathisch.

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