Es ist eine stille Revolution am Herd. Junge Wilde und alte Hasen haben beschlossen, dass "regional" nicht "einfältig" heißen muss. Sie nehmen die Steckrübe, den Saibling aus dem Weiher hinterm Haus und das Reh aus dem eigenen Revier und zaubern daraus Dinge, die selbst weitgereiste Kritiker aus Paris oder New York kurz verstummen lassen. Wir nehmen dich mit auf eine Tour de Gourmet, die beweist, dass Sterneküche und Allgäuer Sturköpfigkeit eine verdammt gute Mischung sind.
Oberstdorf: Das Epizentrum des guten Geschmacks
Ganz im Süden, da wo Deutschland langsam in die Alpen hineinkriecht, liegt Oberstdorf. Normalerweise bekannt für Skispringen und Wandersocken, hat sich der Ort zu einer echten Pilgerstätte für Foodies gemausert. Hier findet man gleich zwei Adressen, die man kennen sollte, wenn man nicht nur Kalorien, sondern Erinnerungen sammeln will.
Fangen wir an mit einer echten Institution. Peter A. Strauss ist so etwas wie der Fels in der Brandung der Oberstdorfer Spitzengastronomie. Sein Ess Atelier Strauss hält seit nunmehr 14 Jahren den Michelin-Stern, und das völlig zu Recht. Wenn du das Restaurant betrittst, riecht es nicht nach steifer Tischwäsche, sondern nach Altholz und einer gewissen Gemütlichkeit. Die Deckenleuchten sind mit Edelweiß verziert – das könnte kitschig wirken, tut es aber nicht. Es passt. Es erdet. Strauss kocht hier eine Küche, die man als "reduzierte Klassik" bezeichnen könnte. Kein Schnickschnack, keine unnötige Show auf dem Teller, nur purer Geschmack. Ein Highlight, das mir im Gedächtnis geblieben ist, war die Jakobsmuschel. Klingt erst mal nicht nach Allgäu, aber in der Kombination mit Karotte und Maracuja entsteht so ein spannendes Säurespiel, das dich sofort wachrüttelt. Oder der Rehrücken mit Topinambur – da schmeckt man den Wald förmlich. Einen klassischen Blick in die Speisekarte kannst du dir hier übrigens sparen, es gibt nämlich keine. Es wird serviert, was die Saison hergibt, als Überraschungsmenü. Das erfordert Vertrauen, wird aber eigentlich immer belohnt. Und falls du Wein magst: Der glasierte Weinklimaschrank ist quasi der Altar dieses Tempels.
- Ess Atelier Strauss | Kirchstraße 1, 87561 Oberstdorf | Tel: +49 8322 800080 | http://www.loewen-strauss.de/kulinarik/ess-atelier-strauss.html
Nur einen Steinwurf entfernt, im Hotel Landhaus Freiberg, wartet das Maximilians. Hier rühmt man sich mit dem Titel "Deutschlands südlichster Michelin-Stern". Das klingt gut, schmeckt aber noch besser. Die Atmosphäre ist hier spürbar lockerer, fast schon ein bisschen frech für einen Sterneladen. Küchenchef Tobias Eisele pfeift auf steife Etikette. Im Wintergarten sitzt man hell und luftig, im Sommer draußen auf dem Südbalkon. Wenn dann die Sonne hinter den Gipfeln verschwindet und du ein Glas Champagner in der Hand hast, ist die Welt ziemlich in Ordnung. Kulinarisch geht es hier oft in Richtung Mittelmeer, aber immer mit einem Bein im Allgäu. Man nennt es hier "maximalen Genuss in ungezwungener Atmosphäre", und genau so fühlt es sich an. Es ist vielleicht das unkomplizierteste Sternerestaurant, in das du dich trauen kannst, selbst wenn du deine Wanderschuhe gerade erst gegen Sneaker getauscht hast. Ob drei oder fünf Gänge, die Weinbegleitung sitzt meistens wie ein maßgeschneiderter Anzug.
- Das Maximilians | Freibergstraße 21, 87561 Oberstdorf | Tel: +49 8322 96780 | https://www.das-maxi.de/
Ofterschwang: Luxus ohne Allüren
Ein paar Kilometer weiter nördlich, im beschaulichen Ofterschwang, liegt die berühmte Sonnenalp. Das Resort ist riesig, fast schon eine eigene kleine Stadt. Mittendrin: die Silberdistel. Seit 2019 dürfen hier auch Gäste essen, die nicht im Hotel wohnen, und das sollte man ausnutzen. Florian Wagenbach verteidigt hier seinen Stern nun schon im siebten Jahr. Was diesen Ort besonders macht, ist der Blick. Während du auf dein Essen wartest, schaust du direkt in das Panorama der Allgäuer Alpen. Das Essen selbst versucht gar nicht erst, mit dieser Aussicht zu konkurrieren, sondern harmoniert mit ihr. Wagenbach setzt stark auf das, was da ist: Fleisch von bayerischen Charolais-Rindern zum Beispiel. Das Fleisch ist mürbe, kräftig im Geschmack und hat nichts mit der Supermarktware zu tun, die man sonst so kennt. 16 Punkte im Gault-Millau kommen nicht von ungefähr. Die Menüs sind mit fünf bis sieben Gängen üppig, aber so komponiert, dass man am Ende nicht völlig erschlagen aus dem Stuhl kippt.
- Silberdistel | Sonnenalp 1, 87527 Ofterschwang | Tel: +49 8383 70-0 | https://www.sonnenalp.de/restaurant-silberdistel
Pfronten: Hoch hinaus für den besten Biss
Jetzt wird es wörtlich atemberaubend. Pack warme Sachen ein, denn wir fahren hoch. Auf 1.250 Metern Höhe, direkt neben der Burgruine Falkenstein, liegt das Pavo. Es ist das höchstgelegene Sternerestaurant Deutschlands. Wenn das Wetter mitspielt, siehst du von hier oben bis zum Schloss Neuschwanstein. Aber ganz ehrlich: Sobald Simon Schlachter das Essen serviert, ist der Märchenkönig da drüben ziemlich schnell vergessen. Schlachter ist Bayerns jüngster Sternekoch und bringt einen Drive in die Küche, der Spaß macht. Sein Konzept heißt "Sharing is Caring". Das ist für die sonst eher "Meins-ist-Meins"-Mentalität der Allgäuer durchaus gewagt, funktioniert aber prächtig. Es kommen viele Kleinigkeiten auf den Tisch – insgesamt 17 Stück über sechs Gänge verteilt. Es ist eine wilde Mischung aus alpinem Boden und südostasiatischem Kick. Da trifft dann schon mal eine Allgäuer Zutat auf Zitronengras oder Chili. Seit 2020 hält er den Stern. Es ist kommunikativ, es ist laut, es ist lebendig.
- Pavo | Auf dem Falkenstein 1, 87459 Pfronten | Tel: +49 8363 914540 | https://www.blaueburg.com/
Falls dir der Sinn nicht nach der ganz großen Sternenummer steht, oder du einfach nur mittags nach einer Wanderung einkehren willst, gibt es direkt nebenan das Restaurant 1250. Man könnte es als den bodenständigen Bruder des Pavo bezeichnen. Gleiche Küche, gleicher Chef, aber entspannter. Die Terrasse hier ist der Wahnsinn – der Blick geht weit hinein nach Österreich. Hier gibt es keine Berührungsängste, nur verdammt gutes Essen in einer Umgebung, die man so schnell nicht vergisst.
- Restaurant 1250 | Auf dem Falkenstein 1, 87459 Pfronten | Website siehe Pavo
Das Hinterland: Wo sich Füchse und Gourmets Gute Nacht sagen
Manchmal findet man die Perlen dort, wo man sie am wenigsten erwartet. In Weitnau-Hellengerst, irgendwo zwischen Kempten und Isny, liegt der Hanusel Hof. Das ist Golfhotel, Wellnessbunker und Familienbetrieb in einem. Familie Rainalter schmeißt den Laden mit einer Herzlichkeit, die man nicht lernen kann. Wolfram Rainalter ist der Herr über den Weinkeller – und was für einer das ist! Über 400 Positionen lagern hier. Die Küche ist grundehrlich. Sie jagen selbst, sie fischen die Forellen aus dem eigenen Weiher. Frischer geht es halt einfach nicht. Ein charmantes Detail, das man in der gehobenen Gastronomie fast schon vergessen hat: Es gibt ein Salatbuffet. Das wirkt erst mal retro, aber wenn die Qualität stimmt, ist es einfach nur gut. Die Menüs am Abend wechseln täglich, und du hast die Wahl zwischen Fisch, Fleisch oder Veggie.
- Hanusel Hof | Golfhotel Weitnau-Hellengerst, 87496 Weitnau | Tel: +49 8378 9200-11 | https://www.hanusel-hof.de
Ein Stück weiter Richtung Bodensee, in Amtzell, versteckt sich das Schattbuch. Von außen vielleicht unscheinbar, drinnen aber ganz großes Kino. Sebastian Cihlars und Christian Marz feiern hier seit über 15 Jahren Erfolge und halten tapfer ihren Stern. Die Atmosphäre ist extrem entspannt. Hier flüstert niemand. Man fühlt sich, als wäre man bei Freunden zu Gast, die zufällig verdammt gut kochen können. Das Wangener Rehfilet ist so ein Gericht, für das manche Gäste weite Umwege in Kauf nehmen. Zusammen mit dem eingelegten Gemüse vom Keltenhof ist das Regionalküche 2.0. Kein Wunder, dass der Falstaff hier regelmäßig Lobeshymnen singt.
- Schattbuch | Schattbucher Straße 10, 88279 Amtzell | Tel: +49 7520 953788 | https://www.schattbuch.de
Lindau: Riviera-Feeling mit Sternenhimmel
Zum Schluss geht es ans Wasser. Der Bodensee hat immer dieses leichte Italien-Flair, und kulinarisch passt sich die Region dem perfekt an. In Lindau-Bodolz, inmitten von Apfelplantagen, liegt das Villino. Wenn du hier auf der Terrasse sitzt, den Blick über die Bäume bis zu den Alpen schweifen lässt, stellt sich sofort eine tiefe Ruhe ein. Das Haus gehört zu Relais & Châteaux, was meistens ein Garant für Qualität ist. Seit 19 Jahren blinkt hier der Michelin-Stern. Toni Neumann nennt seinen Stil "La Cucina dei Sensi" – Küche der Sinne. Es ist leicht, es ist oft asiatisch angehaucht, aber im Herzen italienisch. Sonja Fischer ist eine Gastgeberin der alten Schule, im besten Sinne: aufmerksam, aber nie aufdringlich. Und wer Wein liebt: 850 Positionen auf der Karte sind eine Ansage, die man erst mal abarbeiten muss.
- Villino | Mittenbuch 6, 88131 Lindau/Bodolz | Tel: +49 8382 93450 | https://www.villino.de
Ganz neu im Club der Besten ist das KARRisma auf der Lindauer Insel. Das war 2024 ein echter Paukenschlag: Der erste Stern auf der Insel seit 30 Jahren. Das Restaurant befindet sich im Boutique-Hotel Adara, einem Gebäude aus dem 13. Jahrhundert. Die alten Mauern atmen Geschichte, aber das Essen ist blutjung und modern. Julian Karr steht nicht nur in der Küche, er kommt auch gerne raus zu den Gästen. Das macht die Sache persönlich. Seine Küche ist mutig. Er kombiniert Dinge, bei denen man erst mal die Stirn runzelt, die dann aber im Mund ein Feuerwerk zünden. Zwei Hauben und 15 Punkte im Gault-Millau hat er schon, und wenn man den Gerüchten in der Szene glaubt, schielt man hier schon vorsichtig Richtung zweitem Stern.
- KARRisma | Alter Schulplatz 1, 88131 Lindau | Tel: +49 8382 9435041 | www.karrisma.de