Nicht jeder Berg muss schroffe Felsen und wilde Grate haben, um beeindruckend zu sein. Der Schwarze Grat ist das beste Beispiel dafür. Auf 1.118 Metern bildet er den höchsten Punkt des voralpinen Höhenzugs der Adelegg und war einst der höchste Gipfel im Königreich Württemberg. Das klingt jetzt vielleicht nicht nach besonders viel, aber wer auf dem hölzernen Aussichtsturm steht und die 156 Stufen hinter sich gebracht hat, der versteht schnell: Die Höhe ist relativ.
Die Adelegg selbst wird gerne das "dunkle Herz des Allgäus" genannt. Kein Wunder, denn hier reiht sich ein Tannenwald an den nächsten. Jahrhundertelang war diese Gegend kaum besiedelt. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg kamen Holzfäller und Glasmacher. Sie rodeten die Wälder, bauten Glashütten und gründeten Siedlungen. Heute hat sich der Wald vieles zurückerobert. Manche finden's düster hier, andere empfinden die grüne Stille als Luxus.
Ein Turm mit Geschichte
Schon 1878 stand auf dem Schwarzen Grat ein Aussichtspavillon. Das war damals eine echte Pioniertat, denn Tourismus gab's im Allgäu noch nicht wirklich. Der Verschönerungsverein "Schwarzer Grat" wollte die Gegend um Isny bekannter machen. Die raue Witterung machte dem ersten Bau allerdings zu schaffen, weshalb 1906 ein neuer Holzturm errichtet wurde. Auch der hielt nicht ewig. 1967 schlug ein Blitz ein, und weg war er.
Der heutige Turm stammt aus dem Jahr 1971. 28,5 Meter hoch, komplett aus Holz, auf einem Betonsockel. Acht Stockwerke, wenn man so will. Die Konstruktion ist elegant und robust zugleich. Dass der Schwäbische Albverein, dem der Turm gehört, ihn regelmäßig instand hält, merkt man. Erst kürzlich wurde ein Panorama-Fernrohr installiert, das die sichtbaren Berge benennt – Zugspitze, Säntis, Bodensee, alles drin. Und das Beste: Die Nutzung ist kostenlos, weil's am Turm keinen Strom gibt.
Nebel, Wolken und endlose Blicke
Bei klarem Wetter ist die Aussicht vom Schwarzen Grat wirklich spektakulär. Im Süden reihen sich die Allgäuer Alpen auf wie auf einem Gemälde: Hoher Ifen, Widderstein, Mädelegabel, Hochvogel. Weiter östlich ragen Zugspitze und Karwendel in den Himmel. Nach Westen blitzt manchmal der Bodensee durch, dahinter die Schweizer Berge mit Säntis und bei sehr guter Sicht sogar Jungfrau und Mönch. Im Norden dehnt sich das hügelige Oberschwaben aus. Insgesamt eine 360-Grad-Rundumsicht, die man so schnell nicht vergisst.
Gerade im Herbst und Winter aber passiert hier oben etwas Magisches: Das Eschachtal gilt als echtes Schneeloch, und oft liegt unter dem Gipfel eine dichte Nebeldecke. Dann steht man plötzlich auf einer Insel über den Wolken, während rundherum nur die Alpengipfel aus dem weißen Meer ragen. Fotografen lieben diese Momente. Es ist aber Glückssache, ob man's erwischt.
Wege nach oben
Der kürzeste Aufstieg startet in Bolsternang, bei der Rehaklinik Überruh. Von dort sind es gut drei Kilometer und etwa 340 Höhenmeter bis zum Gipfel. Der Weg verläuft größtenteils durch Wald, auf breiten Forstwegen, die auch für Familien gut machbar sind. Nur das letzte Stück wird etwas steiler und wurzelig. Gehzeit: rund eine Stunde und fünfzehn Minuten.
Wer mehr laufen will, kann auch vom Parkplatz in Großholzleute starten. Dann sind's sechs Kilometer und knapp 400 Höhenmeter. Der Schwarze Grat Erlebnisweg führt auf dieser Route an 13 Infostationen vorbei, die über Naturgeschichte, Holzwirtschaft und Alpwesen erzählen. Unterwegs gibt's "Himmelsgucker"-Bänke, Hängematten an der ehemaligen Schletteralpe und immer wieder lauschige Picknickplätze. An Wochenenden kann's aber auch mal voll werden hier oben.
Vom Glasmacherdorf Kreuzthal-Eisenbach aus erreichst du den Gipfel ebenfalls, und zwar über den Eisenbacher Tobel. Das ist landschaftlich vielleicht die schönste Variante, weil's durch eine wild-romantische Schlucht geht. Gehzeit etwa eine Stunde.
Alpwirtschaft und Spielplatz
Am Gipfel selbst steht nicht nur der Turm. Es gibt einen großen Spielplatz mit Nestschaukel, Kletterturm und Grillstelle. Kinder finden das super, und Eltern können in aller Ruhe auf einer Bank sitzen und in die Landschaft starren. Im Sommer ist der Turm sonntags geöffnet, dann gibt's Getränke und einfache Speisen. Die Betreiber sind meist ehrenamtlich unterwegs, also erwarte hier keinen Gourmet-Tempel.
Etwa 15 Gehminuten vom Gipfel entfernt liegt die Alpe Wenger Egg, eine bewirtschaftete Genossenschaftsalpe. Dort wird Bergkäse produziert, und seit ein paar Jahren gibt's auch Kaffee, Kuchen und zünftige Brotzeiten. Eine Einkehr lohnt sich, allein schon wegen der Atmosphäre. Die Wenger Egg ist seit Generationen im Besitz der Wengener Bauern und wird heute von einer neuen Pächterfamilie geführt.
Adelegg: Glasmacher, Holzfäller, Wildnis
Die Adelegg ist eine Geschichte für sich. Diese Berglandschaft zwischen Kempten, Leutkirch und Isny war jahrhundertelang nur etwas für Jäger und Hirten. Zu abgelegen, zu wild, zu unwirtlich. Dann kamen im 17. Jahrhundert die Glasmacher aus dem Schwarzwald. Sie brauchten Holz als Brennmaterial und Quarz für die Glasherstellung – beides gab's hier reichlich. Orte wie Schmidsfelden und Eisenbach entstanden als Glasmachersiedlungen. Bis 1898 dauerte diese "gläserne Zeit". Dann war Schluss, die Glashütten schlossen.
Parallel dazu siedelten Bergbauern auf den gerodeten Höhen. Das Leben war hart, die Erträge oft mager. Nach und nach gaben die Höfe auf, der Wald eroberte sich sein Terrain zurück. Heute ist die Adelegg wieder ein dichtes Waldgebiet mit steilen Tobeln, einsamen Bachtälern und einer Flora und Fauna, die man anderswo im Allgäu nicht mehr findet. Teile der Landschaft stehen als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet und Vogelschutzgebiet unter Schutz.
Auf dem Glasmacherweg, der über 20 Kilometer von Unterkürnach nach Wengen führt, kannst du diese Geschichte hautnah erleben. Der Themenweg berührt die Standorte fast aller ehemaligen Glashütten. In Schmidsfelden gibt's ein Museum und eine restaurierte Glashütte, wo heute wieder Glasbläser aktiv sind. Es ist schon faszinierend, wie sich die Landschaft über die Jahrhunderte verändert hat.
Praktisches für die Planung
Am besten parkst du am Wanderparkplatz bei der Rehaklinik Überruh in Bolsternang oder am Parkplatz Schwarzer Grat in Großholzleute. Mit dem Bus kommst du ab Isny mit den Linien 74 oder 50 bis zur Haltestelle "Isny Überruh". Die Wege sind größtenteils gut befestigt, festes Schuhwerk ist trotzdem Pflicht. Im letzten Abschnitt vor dem Gipfel wird's wurzelig und rutschig, besonders nach Regen.
Die Tour ist ganzjährig machbar, im Winter allerdings nur mit entsprechender Ausrüstung. Das Eschachtal ist nicht umsonst als Schneeloch bekannt. Im Frühjahr und Herbst ist die Stimmung besonders schön, wenn die Wälder sich verfärben oder der erste Schnee auf den Gipfeln liegt. An heißen Sommertagen ist der schattige Waldweg angenehm kühl.
Für die kurze Runde von Bolsternang über den Gipfel und zurück solltest du etwa zweieinhalb bis drei Stunden einplanen. Die längere Variante mit Schletteralpe und Wenger Egg dauert gut vier Stunden. Mountainbiker sind hier ebenfalls unterwegs, auf den breiten Forstwegen ist das kein Problem. Allerdings gibt's auch kritische Stimmen, wonach E-Biker manchmal überfordert wirken und für Wanderer zur Gefahr werden können. Also Augen auf.
Berglauf und andere Traditionen
Seit 1977 findet alljährlich ein Berglauf auf den Schwarzen Grat statt. Inzwischen gibt's auch einen Mountainbike-Bergsprint. Die Veranstaltung zieht hunderte Teilnehmer an und hat sich zu einem echten Fixpunkt im Allgäuer Sportkalender entwickelt. Auch Günter Grass hat hier übrigens Geschichte geschrieben: 1958 las er erstmals aus der "Blechtrommel" vor – allerdings nicht am Gipfel, sondern im Historischen Gasthof Adler in Großholzleute.