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Regenwetter-Retter: Wo du im Allgäu trocken bleibst und trotzdem etwas erlebst

Wenn der Himmel über den Alpen die Schleusen öffnet und der berühmte Schnürlregen einsetzt, ist der Wandertag gelaufen. Macht nichts. Tausch die Bergschuhe gegen Sneakers, denn zwischen alten Mauern und neuen Einkaufszentren lässt sich der trübste Tag retten.

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Zwischenablage

Es gibt diese Tage, da hilft kein "Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung". Wenn der Regen im Allgäu waagerecht kommt und die Wolken so tief hängen, dass sie die Kirchturmspitzen verschlucken, dann ist Schluss mit lustig auf dem Gipfelgrat. Der gemeine Allgäu-Urlauber neigt dann zur Frustration. Dabei ist das eigentlich die perfekte Ausrede. Endlich muss man nicht mehr so tun, als ob man zwingend 1.000 Höhenmeter überwinden müsste, um den Tag sinnvoll genutzt zu haben. Die Region ist nämlich urbaner, als es die Werbung mit den glücklichen Kühen vermuten lässt. Die Städte im Allgäu haben eine Dichte an Geschichte und Konsummöglichkeiten, die man leicht übersieht, wenn immer nur die Sonne scheint. Wir schauen uns an, wo man hinkann, wenn draußen die Welt untergeht.

Ein interessanter Aspekt dabei ist die historische Zweiteilung vieler Allgäuer Orte. Oft gab es die bürgerliche Reichsstadt und die klerikale Stiftsstadt, was heute den angenehmen Nebeneffekt hat, dass sich Museen und Fußgängerzonen oft doppelt so breit machen. Nimm dir einen Schirm mit, den Weg vom Parkhaus zum Museumseingang musst du trotzdem überbrücken. Aber danach bleiben die Füße trocken.

Kempten: Die Metropole im Taschenformat

Kempten mag sich gerne als "Metropole des Allgäus" bezeichnen. Für Berliner oder Hamburger klingt das niedlich, aber für hiesige Verhältnisse ist das Angebot tatsächlich massiv. Wenn es regnet, strömen alle ins "Forum Allgäu". Das ist ein Einkaufszentrum, wie es sie zu Hunderten gibt, aber es erfüllt seinen Zweck. Es ist warm, hell, und du bekommst von Socken bis zur Systemkamera alles. Viel spannender ist jedoch, was passiert, wenn du das Forum verlässt und dich in Richtung Stiftsplatz bewegst.

Die Residenz Kempten ist ein ziemlicher Klotz. Von außen wirkt sie bei graumeliertem Himmel eher abweisend, fast ein wenig düster. Aber drinnen wartet der Prunk. Es ist schon fast obszön, wie viel Gold und Stuck die Fürstäbte hier an die Decken klatschen ließen, während draußen die Bauern im Matsch standen. Die Prunkräume sind eine der besten Möglichkeiten, eine Stunde Zeit totzuschlagen, ohne dabei auf das Smartphone zu schauen. Es riecht hier drinnen immer ein wenig nach Bohnerwachs und alter Geschichte. Ein Geruch, der beruhigt.

Gleich um die Ecke steht das Zumsteinhaus. Lange Zeit war das Römermuseum im Cambodunum-Park das Aushängeschild der Stadt, aber bei Regen macht es wenig Freude, zwischen alten Grundmauern im Freien herumzuspringen. Das Kempten-Museum im Zumsteinhaus ist die trockene Alternative. Das Konzept ist modern, fast schon ein bisschen zu gewollt interaktiv, aber es funktioniert. Der Eintritt ist frei, was im Allgäu, wo sonst jeder Parkplatz Geld kostet, eine echte Anomalie darstellt. Man erfährt viel über die Römer, aber auch über die Industriegeschichte. Kempten war mal reich durch Leinen und Käse. Heute ist es reich an Autos, die sich durch die Innenstadt schieben.

Wer nach dem Kulturprogramm Geld ausgeben will, findet in der Fußgängerzone nördlich der Residenz zahlreiche Boutiquen. Zwar ist das Dach hier nur der Himmel, aber die Vordächer der Häuserzeilen sind breit. Einheimische flüchten sich bei Dauerregen gern in die Kaffeeröstereien rund um den Rathausplatz. Der Kaffee ist stark, der Kuchen meistens mächtig. Man sitzt dort, schaut durch beschlagene Scheiben auf das nasse Kopfsteinpflaster und fühlt sich seltsam geborgen.

Kaufbeuren: Schmuckstücke und Puppentheater

Kaufbeuren wird oft unterschätzt. Dabei hat die Stadt im Ostallgäu eine morbide Schönheit, wenn das Licht fahl ist. Die Altstadt ist kompakt, was bei Regen ein strategischer Vorteil ist. Alles ist fußläufig. Das absolute Highlight für Regentage, an denen man sich ein bisschen gruseln möchte, ist das Puppentheatermuseum. Es liegt versteckt in verwinkelten Gassen. Hier hängen Marionetten aus verschiedenen Jahrhunderten. Manche schauen freundlich, andere sehen aus, als würden sie nachts ein Eigenleben führen. Es ist still dort, nur das Knarren der Dielen begleitet einen.

Aber Kaufbeuren hat noch ein Ass im Ärmel, für das man allerdings ins Auto steigen und in den Stadtteil Neugablonz fahren muss. Das Isergebirgs-Museum. Klingt sperrig, ist aber faszinierend. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden vertriebene Glas- und Schmuckmacher aus dem Sudetenland hier angesiedelt. Aus dem Nichts bauten sie eine Weltindustrie für Modeschmuck auf. Das Museum zeigt nicht nur Glitzerkram, sondern Werkstätten, Maschinen und Lebensgeschichten. Es ist laut, bunt und riecht nach Metall und Arbeit. Wer danach noch Shopping-Bedarf hat: In Neugablonz gibt es immer noch Werksverkäufe für Schmuck. Das ist kein Ramsch, das ist Handwerk. Man findet dort Dinge, die man eigentlich nicht braucht, aber unbedingt haben will, weil sie so schön funkeln.

Zurück in der Altstadt lohnt sich ein Blick in das Crescentiakloster. Selbst für Atheisten hat der Ort eine gewisse Aura. Vielleicht ist es die Stille, vielleicht die Hoffnung der vielen Pilger, die hier ihre Sorgen abladen. Wenn es draußen schüttet, wirkt der Klosterladen mit seinen Kräutertinkturen und Kerzen wie eine warme Höhle.

Füssen: Mehr als nur der Märchenkönig

Jeder kennt Füssen wegen Neuschwanstein. Aber bei Regen zu den Königsschlössern? Vergiss es. Die Kutschen sind nass, der Weg zur Marienbrücke ist eine Rutschbahn, und die Sicht ist gleich null. Bleib unten in der Stadt. Füssen hat eine Geschichte, die viel älter ist als Ludwig II. und seine Bauten. Die Stadt war das Zentrum des Lauten- und Geigenbaus in Europa. Das Museum der Stadt Füssen im ehemaligen Benediktinerkloster St. Mang widmet sich diesem Thema ausführlich. Du läufst durch barocke Säle, siehst uralte Instrumente und kannst dir vorstellen, wie mühsam es war, das Holz dafür aus den Bergwäldern zu holen.

Der Totentanz in der Annakapelle ist ein weiterer Punkt, der seltsam gut zu schlechtem Wetter passt. Es ist der älteste in Bayern erhaltene Totentanz-Zyklus. "Sagt Ja, sagt Nein, getanzt muss sein" steht dort. Ziemlich düster, aber beeindruckend. Danach brauchst du wahrscheinlich einen Schnaps oder einen sehr süßen Kaffee.

Shopping in Füssen ist ein zweischneidiges Schwert. Die Reichenstraße ist vollgepackt mit Souvenirläden, die Kuckucksuhren und Filzhüte verkaufen. Man muss das mögen. Aber wenn man genau hinschaut, findet man in den Seitengassen kleine Läden für Trachtenmode und Handwerk, die nicht "Made in China" sind. Eine gute Regenjacke findet man hier allemal, schließlich lebt der Einzelhandel von Touristen, die das Wetter unterschätzt haben.

Memmingen: Tore, Türme und die Moderne

Memmingen ist die Stadt der Tore und Türme. Bei Regen wirken die alten Stadtbefestigungen noch wehrhafter. Man duckt sich fast automatisch, wenn man durch das Ulmer Tor läuft. Aber wir wollen ja ins Trockene. Die MEWO Kunsthalle ist so ein Ort, den man in einer Stadt dieser Größe nicht erwartet. Untergebracht im alten kaiserlichen Postamt, einem wuchtigen Gebäude direkt am Bahnhof, findet man hier zeitgenössische Kunst. Die Räume sind hoch, kühl und weitläufig. Oft ist man fast alleine mit den Exponaten. Der Kontrast zwischen der mittelalterlichen Altstadt draußen und der modernen Kunst drinnen erzeugt eine Spannung, die wachhält.

Das Stadtmuseum im Hermansbau ist die klassische Alternative. Es ist solide, informativ und trocken. Besonders spannend ist die Geschichte der "Zwölf Artikel". Hier in Memmingen wurden 1525 quasi die ersten Menschenrechte Europas formuliert. Das gibt einem beim Museumsbesuch ein erhabenes Gefühl, auch wenn die Bauern damals blutig niedergeschlagen wurden.

Zum Einkaufen bietet Memmingen eine solide Mischung. Keine riesigen Malls wie in Kempten, aber eine gut sortierte Innenstadt rund um den Marktplatz und die Kramerstraße. Es gibt hier noch diese inhabergeführten Geschäfte, in denen der Chef selbst an der Kasse steht und einem ungefragt erzählt, dass das Wetter früher auch nicht besser war.

Marktoberdorf und Sonthofen: Die Spezialisten

Wenn die großen vier Städte schon abgeklappert sind, bleiben die Nischenlösungen. Marktoberdorf leistet sich das Künstlerhaus. Ein Kubus, schlicht, fast streng. Die Ausstellungen wechseln und sind oft von überregionaler Bedeutung. Es ist ein Ort für Leute, die bei Regen gerne nachdenken und nicht nur konsumieren wollen. Die Architektur allein ist den Abstecher wert, besonders wie der rote Backstein mit dem grauen Himmel korrespondiert.

Ganz anders Sonthofen. Die südlichste Stadt Deutschlands ist eher pragmatisch veranlagt. Hierhin fährt man bei Regen, wenn man Ausrüstung braucht. Es gibt diverse Outlets und Sportgeschäfte. Wer feststellt, dass die eigene Regenjacke nach zehn Jahren doch nicht mehr dicht ist, wird hier fündig. Es hat einen gewissen Charme, sich mit neuer Gore-Tex-Kleidung einzudecken, während es draußen auf das Wellblechdach des Outlets prasselt. Man rüstet sich für den Kampf gegen die Elemente.

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