Oberallgäu & Allgäuer Alpen

Safari auf Allgäuerisch: Wo du Steinböcke, Murmeltiere und Steinadler beobachten kannst

Wer im Allgäu die wahren Herrscher der Alpen sehen will, braucht Geduld, gute Waden und den richtigen Riecher für Wind und Wetter. Hier steht, wo sich das Aufstehen im Morgengrauen wirklich lohnt und warum man manchmal einfach nur still auf einem Stein sitzen muss.

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Zwischenablage

Es ist schon komisch. Da fährt man stundenlang in die Berge, schnürt die klobigen Wanderstiefel, schleppt sich steile Serpentinen hoch, und am Ende sind es meistens doch nur die Kühe mit ihren Schellen, die man zu Gesicht bekommt. Versteh mich nicht falsch, das Allgäuer Braunvieh gehört zur Landschaft wie der Bergkäse aufs Brot, aber der wirkliche Reiz liegt woanders. Er liegt dort, wo das Gras aufhört und der Fels beginnt. Wer Steinböcke, Murmeltiere oder gar den Steinadler sehen will, muss den "Touristenmodus" ausschalten. Alpentiere warten nicht auf Instagram-Fotografen. Sie sind scheu, sie sind perfekt getarnt, und sie haben einen Terminkalender, der sich strikt nach Sonnenstand und Thermik richtet. Wer mittags um zwölf bei praller Sonne und lärmender Unterhaltung den Gipfel stürmt, wird außer ein paar Alpendohlen – die gefiederten Staubsauger der Gipfelbrotzeit – wenig sehen. Pustekuchen. Wildbeobachtung ist Arbeit. Aber wenn du dann plötzlich in diese bernsteingelben Augen eines Steinbocks blickst, der keine zehn Meter vor dir steht und dich mit einer Lässigkeit ignoriert, die fast schon beleidigend ist, dann weißt du, warum du dir die Schinderei angetan hast.

Der König der Felsen: Steinböcke im Oberstdorfer Hochgebirge

Fangen wir gleich mit dem Schwergewicht an. Der Alpensteinbock ist so etwas wie das Wappentier der alpinen Wildnis, auch wenn er im Allgäu gar nicht so selbstverständlich ist, wie man meint. Vor hundert Jahren war er hier nämlich komplett weg vom Fenster. Ausgerottet. Dass er heute wieder da ist, verdanken wir aufwendigen Wiederansiedlungsprojekten. Wenn du diese beeindruckenden Kletterkünstler sehen willst, musst du hoch hinaus. Und ich meine wirklich hoch. Spaziergänge im Tal bringen da gar nichts.

Der Hotspot schlechthin ist der Heilbronner Weg und das Gebiet rund um die Rappenseehütte. Das ist alpines Gelände, kein Spazierweg. Hier oben, im Hauptkamm der Allgäuer Alpen, fühlen sich die Steinböcke pudelwohl. Sie lieben das steile, felsige Gelände, wo sie ihre unglaublichen Kletterkünste ausspielen können. Oft hocken sie direkt auf oder neben dem Weg. Manchmal muss man fast warten, bis der "Herr des Hauses" sich bequemt, den Pfad freizumachen. Es ist faszinierend und ein bisschen einschüchternd zugleich, wenn so ein ausgewachsener Bock mit seinen massiven, gebogenen Hörnern den Kopf senkt und ein bisschen Gras zupft, während du dich an den Drahtseilen festhältst. Der Geruch ist übrigens unverwechselbar: Eine Mischung aus Stall, Moschus und wildem Tier. Man riecht sie oft, bevor man sie sieht.

Ein weiterer, fast schon todsicherer Tipp ist das Gebiet um den Mindelheimer Klettersteig und die Fiderepasshütte. Wer hier frühmorgens oder am späten Abend unterwegs ist, hat gute Karten. Wichtig ist dabei das Verhalten: Nicht auf sie zustürmen. Nicht rufen. Einfach stehen bleiben, ruhig atmen und das Fernglas zücken. Steinböcke wissen genau, dass wir Menschen im steilen Fels unbeholfene Tölpel sind. Solange du auf dem Weg bleibst, betrachten sie dich nicht als Bedrohung, sondern eher als kurioses, bunt gekleidetes Inventar.

Die Wächter der Wiesen: Murmeltiere

Viel einfacher zu finden, aber deswegen nicht weniger unterhaltsam, sind die Murmeltiere. Im Allgäu nennt man sie oft auch "Murmel" oder im bayerischen Grenzbereich "Mankei", obwohl das hier seltener zu hören ist. Man hört sie meistens, bevor man sie sieht. Dieser schrille, durchdringende Pfiff, der durch das Tal hallt, ist ihr Alarmsignal. Ein einzelner Pfiff bedeutet oft "Gefahr aus der Luft" (Adler!), eine Serie von Pfiffen heißt "Gefahr am Boden" (Wanderer, Fuchs, Hund). Wenn du diesen Pfiff hörst: Sofort stehen bleiben und die umliegenden Hänge scannen. Such nach graubraunen Steinen, die sich bewegen.

Ein absoluter Klassiker für Murmeltier-Sichtungen ist das Gebiet um das Kanzelwand-Plateau und hinüber zum Fellhorn. Da ist zwar oft viel Betrieb, aber die Tiere haben sich an die Wanderer gewöhnt. In den etwas ruhigeren Mulden unterhalb der Gipfelstationen kann man sie oft beim Sonnenbaden beobachten. Sie liegen dann flach auf den Steinen, die Pfoten von sich gestreckt, und tanken Wärme. Das sieht aus wie reine Faulheit, ist aber überlebenswichtig, um Energie zu sparen. Noch besser und wilder ist das Bärgündele-Tal hinter dem Giebelhaus. Dort, wo die Touristenströme abebben, sind die Kolonien oft größer. Im Spätsommer sieht man sie besonders gut, weil sie sich dann den Winterspeck anfressen und fast kugelrund durch die Wiesen wuseln. Es ist ein drolliges Bild, wenn sie sich aufrichten, "Männchen machen" und die Umgebung sichern. Aber Vorsicht: Bitte nicht füttern. Auch wenn sie niedlich gucken und vielleicht sogar an den Rucksack kommen – Menschennahrung macht sie krank und abhängig. Das ist kein Spaß.

Der Geist des Himmels: Steinadler

Jetzt wird es schwierig. Den Steinadler zu sehen, ist wie ein Sechser im Lotto, nur dass man sich das Ticket mit Geduld kaufen muss. Es gibt im Allgäu mehrere Brutpaare, aber ihr Revier ist riesig. Ein Adlerpaar beansprucht gut und gerne 50 bis 100 Quadratkilometer für sich. Man muss also zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und den Kopf im Nacken haben, bis es im Genick zieht.

Gute Chancen hast du in den tief eingeschnittenen Seitentälern von Oberstdorf, zum Beispiel im Oytal oder im Trettachtal. Die steilen Felswände dort produzieren die Thermik, die die großen Greifvögel lieben. Sie schrauben sich ohne einen Flügelschlag in die Höhe. Achte auf die Silhouette: Der Steinadler ist riesig, deutlich größer als der allgegenwärtige Mäusebussard. Seine Flügelspannweite kann über zwei Meter betragen. Im Flug wirken die Flügelenden wie gespreizte Finger – das ist das sicherste Erkennungszeichen. Oft sieht man sie paarweise segeln. Ein Fernglas ist hier Pflicht, sonst siehst du nur einen schwarzen Punkt.

Auch das Hintersteiner Tal, ganz hinten beim Giebelhaus in Richtung Hochvogel, ist Adler-Land. Der Hochvogel selbst, dieser markante Gipfel, macht seinem Namen alle Ehre. Hier kreisen sie oft in großer Höhe. Ein kleiner Tipp am Rande: Wenn plötzlich alle Murmeltiere pfeifen und in ihren Löchern verschwinden und es schlagartig still wird auf der Alm, dann lohnt sich der Blick nach oben. Die Murmeltiere sind die besten Adler-Detektive, die du finden kannst. Sie sehen den Jäger oft lange bevor wir ihn bemerken.

Ausrüstung und der richtige "Riecher"

Man braucht keine Ausrüstung für tausende Euro, um Tiere zu beobachten, aber ohne ein vernünftiges Fernglas ist man fast blind. Ein 8x42 oder 10x42 Glas ist der Standard. Das "8x" steht für die Vergrößerung, die "42" für den Durchmesser der Linse vorne. Je größer der Durchmesser, desto mehr Licht kommt rein – wichtig, wenn du in der Dämmerung unterwegs bist. Und genau das ist der Punkt: Die Tageszeit.

Im Hochsommer, wenn die Sonne um elf Uhr gnadenlos vom Himmel brennt, liegen die Tiere im Schatten und dösen. Wer was sehen will, muss früh raus. Richtig früh. Wenn der Tau noch auf den Wiesen liegt und der Nebel aus den Tälern wabert, ist die Tierwelt aktiv. Gemsen (die hier Gams heißen) kommen dann weit herunter auf die Weideflächen. Die Gams ist übrigens viel scheuer und hektischer als der Steinbock. Während der Steinbock den Coolen markiert, ist die Gams bei der kleinsten Störung weg. Ein Pfiff, ein Rascheln, und das ganze Rudel jagt in einem Affenzahn den steilsten Hang hinauf, wo kein Mensch mehr folgen kann. Das zu sehen, diese unfassbare Trittsicherheit und Geschwindigkeit, ist jedes Mal wieder ein kleines Wunder.

Kleidung ist auch so ein Thema. Man muss sich nicht in Camouflage hüllen wie ein Elitesoldat, aber knalliges Neonpink ist vielleicht nicht die klügste Wahl. Gedeckte Farben – Oliv, Braun, Grau – helfen, weniger aufzufallen. Und verzichte auf starkes Deo oder Parfum. Der Wind trägt den Geruch hunderte Meter weit. Wenn der Wind im Rücken steht, wissen die Tiere schon, dass du kommst, bevor du überhaupt den Parkplatz verlassen hast.

Ein Wort zur Verantwortung

Das Allgäu ist, bei aller Liebe, eine der am dichtesten erschlossenen Bergregionen der Alpen. Seilbahnen, Hütten, Wege – der Mensch ist überall. Umso wichtiger ist es, dass wir den Tieren ihren Raum lassen. Wenn du das Glück hast, eine Gruppe Steinböcke oder ein Rudel Gämsen zu sehen, dann bleib auf dem Weg. Geh nicht näher ran für das perfekte Smartphone-Foto. Zoom digital, nicht mit den Füßen. Im Winter und im Frühjahr ist das besonders kritisch. Die Tiere zehren von ihren Reserven. Jede Flucht kostet Energie, die sie vielleicht zum Überleben brauchen. Es ist eigentlich ganz einfach: Wir sind Gäste in ihrem Wohnzimmer. Und als Gast benimmt man sich halt, oder? Ein bisschen Respekt, ein bisschen Ruhe, und das Bergerlebnis wird tiefer und echter, als es jeder schnelle Schnappschuss festhalten könnte. Und wenn man mal gar nichts sieht? Dann hat man immer noch die gute Bergluft in der Nase und das Panorama vor der Nase. Gibt Schlimmeres.

Praktische Zusammenfassung

  • Steinböcke: Heilbronner Weg, Rappenseehütte, Mindelheimer Klettersteig, Kanzelwand (manchmal). Beste Zeit: Frühsommer und Herbst.
  • Murmeltiere: Fellhorn/Kanzelwand (leicht erreichbar), Bärgündele-Tal, Spielmannsau. Beste Zeit: Mai bis September (im Winter schlafen sie).
  • Steinadler: Oytal, Trettachtal, Hinterstein (Richtung Hochvogel). Fernglas zwingend nötig.
  • Ausrüstung: Fernglas, unauffällige Kleidung, Geduld.
  • Verhalten: Auf den Wegen bleiben, Hunde anleinen, ruhig verhalten.

Wenn es mal nicht klappt

Es gibt Tage, da ist der Wurm drin. Nebel so dick wie Erbsensuppe, Regen, der quer kommt, oder die Viecher haben einfach keine Lust. Das gehört dazu. "Des is halt so", würde der Allgäuer sagen. Dann kehrt man eben in eine der vielen Alpen ein, bestellt sich Kässpatzen und ein Radler und genießt die Stimmung in der Hütte. Oft erzählen die Wirte dann, wo sie heute Morgen den Adler kreisen sahen. Und beim nächsten Mal klappt es dann vielleicht. Die Berge laufen ja nicht weg. Die Tiere auch nicht – sie verstecken sich nur verdammt gut.

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