Oberallgäu & Allgäuer Alpen

72 Meter über dem Boden: Der spektakuläre Ausblick von der Heini-Klopfer-Skiflugschanze

Ein Koloss aus Spannbeton ragt unvermittelt aus den dunklen Wäldern bei Oberstdorf und zieht den Blick magisch an. Wer sich hier hinaufwagt, spürt schnell, warum Skifliegen eigentlich physikalischer Wahnsinn ist – und wird mit einer Aussicht belohnt, die die Knie weich macht.

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Zwischenablage

Man fährt durch das Stillachtal, vorbei an friedlichen Wiesen und vereinzelten Bauernhöfen, und rechnet eigentlich mit nichts Bösem. Doch dann taucht sie auf. Wie ein fingerzeigendes Ausrufezeichen aus Beton steht die Heini-Klopfer-Skiflugschanze in der Landschaft. Sie wirkt fast wie ein Fremdkörper in dieser Idylle, aber genau das macht ihren Reiz aus. Es ist dieses Spannungsfeld zwischen der sanften Allgäuer Natur und der brachialen Architektur des Leistungssports, das einen hier sofort packt. Viele Besucher kommen nur wegen des Freibergsees, der gleich um die Ecke liegt, und stolpern dann eher zufällig über dieses Monstrum. Ein Fehler. Denn wer unten stehenbleibt und nur den Hals verrenkt, verpasst das Wesentliche. Man muss da hoch. Unbedingt.

Es gibt weltweit nicht viele Anlagen dieser Art. Skifliegen ist die extreme Schwester des Skispringens, und die Schanzen dafür sind rar gesät. Planica in Slowenien, Vikersund in Norwegen, Bad Mitterndorf in Österreich – und eben Oberstdorf. Das hier ist die Champions League der Schwerkraftüberwindung. Und das Beste daran: Wenn gerade kein Wettkampf ist, gehört der Turm dir. Ganz ohne Ski an den Füßen, was die Sache deutlich entspannter macht. Zumindest theoretisch.

Der Aufstieg: Nichts für Eilige

Du hast zwei Möglichkeiten, um den Sockel des Turms zu erreichen. Die sportliche Variante führt über treppenartige Wege den Hang hinauf. Das zieht sich und treibt den Puls schon mal in die Höhe, bevor man überhaupt oben ist. Die meisten wählen daher den Sessellift. Es ist eine dieser gemütlichen, etwas älteren Anlagen, bei denen man Zeit hat, die Füße baumeln zu lassen und den Wald von oben zu betrachten. Das Rattern der Rollen über die Stützen hat etwas Beruhigendes. Fast schon meditativ schaukelt man dem „Adlerhorst“ entgegen. Unten werden die Wanderer kleiner, oben wird der Turm immer mächtiger.

An der Mittelstation angekommen, stehst du dann direkt vor dem architektonischen Herzstück. Der Schanzenturm ist eine freitragende Spannbetonkonstruktion. Das klingt technisch trocken, sieht aber in der Realität ziemlich spektakulär aus. Der Anlaufturm hängt quasi in der Luft, nur gehalten von schrägen Pfeilern und einer enormen Spannung im Material. Architekt Heini Klopfer, selbst ein Skispringer, hatte damals, 1950, eine Vision. Er wollte eine Schanze, die sich organisch, aber doch monumental in den Hang legt. Das ist ihm gelungen. Auch nach den diversen Umbauten und Modernisierungen, zuletzt für rund 12 Millionen Euro, hat die Schanze ihren charakteristischen „Leaning Tower“-Charme behalten.

Hier wird es nun ernst. Ein Schrägaufzug, der ein bisschen an eine futuristische Kapsel erinnert, bringt dich das letzte und steilste Stück hinauf zum Schanzenkopf. Wer klaustrophobisch veranlagt ist, nimmt lieber die Treppe. Aber Achtung: Das sind viele Stufen. Sehr viele. Und sie sind aus Gitterrost. Der Blick nach unten ist also inklusive, bei jedem Schritt.

Ganz oben: Wo die Knie weich werden

Oben angekommen, auf der Plattform in gut 72 Metern Höhe über dem Gelände, pfeift meistens ein ordentlicher Wind. Das ist kein laues Lüftchen, sondern oft eine steife Brise, die durch das Stillachtal zieht. Der erste Eindruck ist Stille. Wenn keine tausende Fans unten im Kessel stehen und keine Musik aus den Lautsprechern dröhnt, ist es hier oben fast schon gespenstisch ruhig. Man hört nur das Rauschen der Baumwipfel weit unter sich und vielleicht das ferne Bimmeln einer Kuhglocke.

Dann trittst du an das Geländer. Und schluckst erst mal. Der Blick in die Tiefe ist absurd. Im Fernsehen sieht das alles immer so schön harmonisch aus, fast flach. Von hier oben wirkt die Anlaufspur aber fast senkrecht. Es ist kaum vorstellbar, dass sich hier ein Mensch freiwillig hinabstürzt. Man steht da, klammert sich vielleicht ein bisschen fester als nötig am Handlauf fest und versucht, die Dimensionen zu begreifen. Der Höhenunterschied vom Anlauf bis zum Auslauf unten im Tal beträgt über 200 Meter. Ein Mordsdrum von einer Anlage.

Der Blick schweift aber auch weiter. Du siehst hinüber zum Fellhorn, die Kanzelwand blitzt hervor, und unten liegt Oberstdorf wie eine Spielzeugstadt ausgebreitet. Man bekommt ein Gefühl für die Geografie des Oberallgäus. Alles wirkt eng und doch weitläufig zugleich. Besonders schön ist der Kontrastfarbklecks des Freibergsees, der je nach Lichteinfall smaragdgrün oder tiefblau leuchtet. Er liegt da wie ein stiller Beobachter, unbeeindruckt vom menschlichen Drang nach Höhenrekorden.

Der Zitterbalken: Ein Perspektivwechsel

Ein Detail, das man nicht verpassen darf, ist der sogenannte „Zitterbalken“. Nein, man darf sich nicht wirklich draufsetzen wie die Athleten, das wäre aus versicherungstechnischen Gründen wohl ein Albtraum. Aber man kann extrem nah ran. Die Vorstellung, dort oben zu sitzen, nur auf einer schmalen Latte, den Blick stur geradeaus gerichtet, während der Puls wahrscheinlich irgendwo im Halsbereich hämmert, nötigt einem massiven Respekt ab. Skiflieger sind keine normalen Sportler. Sie müssen Piloten sein, ohne Motor.

Interessant ist dabei die psychologische Komponente. Wenn du dort oben stehst, fragst du dich unweigerlich: Könnte ich das? Die Antwort ist bei 99,9 Prozent der Besucher ein klares, panisches Nein. Aber allein die Frage macht den Reiz aus. Es ist der Kitzel der Gefahr, den man hier sicher hinter einem Geländer stehend konsumiert. Man spürt quasi das Adrenalin der anderen nachhallen.

Historie und Technik: Mehr als nur Beton

Es lohnt sich, zwischendurch auf die Infotafeln zu schauen, die entlang des Rundwegs angebracht sind. Die Geschichte der Schanze ist nämlich eine Geschichte von Rekorden und Enttäuschungen, von Mut und Wahnsinn. Die erste Holzkonstruktion von 1950 war damals schon eine Sensation. Dass Oberstdorf überhaupt zu einer Skiflug-Hochburg wurde, verdanken die Allgäuer drei verrückten Skispringern, die einfach der Meinung waren: „Da geht noch mehr.“

Der Namensgeber Heini Klopfer war einer von ihnen. Er war nicht nur der Architekt, sondern sprang als erster von seiner eigenen Schanze. 90 Meter weit. Das klingt heute nach Kindergeburtstag, war damals aber eine Weltreise durch die Luft. Heute liegt der Schanzenrekord bei weit über 230 Metern. Domen Prevc aus Slowenien segelte hier 2022 auf 242,5 Meter. Wenn man oben steht und sich diese Distanz vorstellt – das sind fast zweieinhalb Fußballfelder –, dann schüttelt man nur noch den Kopf. Unfassbar.

Abstieg und der Freibergsee

Irgendwann muss man wieder runter. Der Wind wird kalt, und der Kopf ist voll mit Eindrücken. Wer Knieprobleme hat, nimmt wieder den Lift. Wer aber noch etwas Energie hat, sollte zu Fuß absteigen. Der Perspektivwechsel beim Gehen ist spannend. Man sieht die Konstruktion von unten, sieht die massiven Betonpfeiler, die wie gigantische Beine in den Waldboden gerammt sind. Man bekommt ein Gefühl für die Statik, für die Kräfte, die hier wirken.

Unten angekommen, bietet sich die perfekte Ergänzung an: der Freibergsee. Er ist Deutschlands südlichster Badesee und liegt nur einen kurzen Spaziergang von der Schanze entfernt. Nach all dem Beton und Stahl tut das Wasser gut. Im Sommer ist ein Sprung ins kühle Nass fast Pflicht, im Herbst ist die Umrundung des Sees ein optischer Genuss, wenn sich die Laubbäume in den buntesten Farben im Wasser spiegeln.

Dort gibt es auch Gastronomie. Ein kühles Radler oder eine Portion Kässpatzen auf der Terrasse des Restaurants mit Blick auf die Schanze – das erdet ungemein. Von dort unten wirkt der Turm wieder klein und harmlos. Man sitzt da, kaut, schaut hoch und denkt sich: „Da war ich gerade.“ Ein gutes Gefühl.

Praktische Tipps für den Besuch

Kommen wir zu den Fakten, damit der Ausflug kein Reinfall wird. Parken ist so eine Sache im Stillachtal. Du kannst nicht direkt bis vor die Schanze fahren. Das Auto bleibt am Parkplatz „Renksteg“ stehen. Von dort aus sind es entweder gut 20 bis 30 Minuten zu Fuß oder man nimmt den Bus. Wer gut zu Fuß ist, sollte laufen. Der Weg durch den Wald stimmt einen gut ein.

Die Öffnungszeiten variieren je nach Saison, aber generell ist die Anlage tagsüber für Besichtigungen geöffnet, sofern kein Training oder Wettkampf stattfindet. Das ist ein wichtiger Punkt: Check vorher den Kalender. Wenn Skifliegen ist, kommst du ohne Ticket nicht rein, und auf den Turm schon gar nicht. Aber an den trainingsfreien Tagen gehört die Anlage den Touristen.

Noch ein Hinweis zur Kleidung: Auch wenn unten im Tal 25 Grad und Sonnenschein herrschen, oben auf dem Turm zieht es. Immer. Eine leichte Jacke oder ein Windbreaker im Rucksack schadet nicht. Und festes Schuhwerk ist kein Fehler, besonders wenn man die Gittertreppen nutzen will. High Heels oder rutschige Sandalen sind hier fehl am Platz, auch wenn man immer wieder Leute sieht, die das versuchen. Sieht meistens nicht sehr elegant aus.

Unterscheide bitte auch: Es gibt in Oberstdorf zwei große Schanzenanlagen. Die Schattenbergschanze (heute WM-Skisprung-Arena) liegt direkt am Ortsrand. Dort findet die Vierschanzentournee statt. Die Heini-Klopfer-Schanze liegt weiter draußen im Stillachtal und ist fürs Skifliegen. Verwechsle das nicht, sonst stehst du vor dem falschen Betonhaufen und wunderst dich, warum er kleiner aussieht als erwartet. Skifliegen ist größer, wilder, weiter.

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