Im Allgäu hält sich hartnäckig das Gerücht, man müsse sich den Gipfel "verdienen". Einheimische mit Waden aus Stahl rennen noch vor dem Frühstück auf das Rubihorn, nur um pünktlich zur Arbeit wieder im Tal zu sein. Das ist beeindruckend, keine Frage. Aber sind wir ehrlich: Der Kaiserschmarrn schmeckt auf 2000 Metern Höhe nicht schlechter, nur weil man sich nicht drei Stunden lang die Lunge aus dem Leib gehechelt hat. Ganz im Gegenteil. Der Genusswanderer kommt entspannt oben an, das Hemd ist trocken, und der Blick für die Schönheit der Natur ist unverstellt durch Erschöpfungsschleier. Die Bergbahnen im Allgäu sind nicht nur Transportmittel. Sie sind die Eintrittskarte in eine hochalpine Welt, die sonst nur Alpinisten vorbehalten wäre. Wir schauen uns an, wo sich das Ticket wirklich lohnt und wo die Schlange an der Kasse die einzige Herausforderung bleibt.
Nebelhorn: Der Prominente unter den Riesen
Wer Oberstdorf sagt, meint meistens das Nebelhorn. Es ist der Hausberg, der Wächter, das Aushängeschild. Seit dem Umbau der Bahn schwebt man hier in modernen Zehner-Kabinen nach oben, und das Ruckeln von früher ist einem fast meditativen Gleiten gewichen. Man muss allerdings wissen, worauf man sich einlässt. Einsamkeit findet man hier nicht. Das Nebelhorn ist ein Touristenmagnet, und an schönen Tagen im August schieben sich die Massen durch die Drehkreuze. Trotzdem: Die Fahrt lohnt sich. Man muss zweimal umsteigen, an der Station Seealpe und am Höfatsblick, bis man schließlich auf 2224 Metern steht. Was einen dort oben erwartet, ist schlichtweg wuchtig. Der berühmte "400-Gipfel-Blick" ist keine Marketingerfindung. Bei klarer Sicht reihen sich die Spitzen der österreichischen, schweizerischen und deutschen Alpen aneinander wie die Zähne eines gigantischen Haifischs.
Ein kleines Detail am Rande, das viele übersehen: Achte bei der Fahrt auf die Station Höfatsblick. Dort klebt das Gebäude förmlich am Fels. Wer schwindelfrei ist, wagt sich oben an den Nordwandsteig. Das ist eine Stahlkonstruktion, die einmal um den Gipfel herumführt. Man sieht durch Gitterroste direkt in die Tiefe, mehrere hundert Meter geht es da senkrecht runter. Ein flaues Gefühl im Magen gehört dazu. Man hört den Wind pfeifen, manchmal riecht man sogar das kalte Gestein. Für den reinen Genusswanderer reicht aber auch die Terrasse des Gipfelrestaurants. Ein Weißbier hier oben, während unten im Tal der Nebel hängt – daher der Name –, hat schon was Erhabenes. Teuer ist der Spaß, das muss man sagen. Eine Berg- und Talfahrt reißt ein ordentliches Loch in die Reisekasse. Aber man gönnt sich ja sonst nichts.
Fellhorn und Kanzelwand: Grenzgänger im Blumenmeer
Nur ein paar Kilometer weiter südlich spielt sich ein ganz anderes Szenario ab. Das Fellhorn ist der Blumenberg der Region. Im Frühsommer, wenn die Alpenrosen blühen, leuchten die Hänge in einem fast unwirklichen Rot. Die Fellhornbahn bringt dich bequem auf den Grat. Oben angekommen, stehst du mit einem Bein in Bayern und mit dem anderen in Vorarlberg. Die Grenze zu Österreich verläuft direkt hier oben, markiert durch unscheinbare Steine und Schilder, die eher als Fotomotiv dienen denn als Hoheitszeichen. Das Spannende ist die Verbindung zur Kanzelwandbahn. Du kannst auf deutscher Seite hochfahren, oben gemütlich "rübermachen" und auf österreichischer Seite ins Kleinwalsertal runterschauen. Oder sogar runterfahren, wenn das Ticket es hergibt.
Das Publikum ist hier anders als am Nebelhorn. Weniger "Selfie-Sticks in Sandalen", mehr Familien und Wanderer mit ordentlichem Schuhwerk. Der Weg vom Fellhorn zur Kanzelwand ist breit, gut ausgebaut und eigentlich eher ein Spaziergang auf 2000 Metern Höhe. Man hört das Bimmeln der Kuhglocken oft lauter als die Gespräche der anderen Wanderer. Ein Tipp für Faule, die trotzdem so wirken wollen, als hätten sie was geleistet: Lauf den Gratweg bis zum Schlappoldsee runter. Der See liegt wie ein dunkles Auge in einer Senke. Das Wasser ist eiskalt, selbst im Hochsommer. Füße reinhalten hilft gegen geschwollene Knöchel, aber schwimmen ist nur was für die ganz Harten. Die Bahn nimmt dir den steilen Wiederaufstieg leider nicht ab, wenn du zu weit absteigst, also teil dir die Kräfte ein.
Tegelberg: Audienz beim Märchenkönig
Wechseln wir die Kulisse. Rüber nach Füssen, in den Königswinkel. Der Tegelberg ist so etwas wie die Loge im königlichen Theater. Während unten am Schloss Neuschwanstein asiatische Reisegruppen und amerikanische Bustouristen um die besten Fotospots kämpfen, schwebst du mit der Tegelbergbahn einfach darüber hinweg. Die Kabine ist oft rappelvoll, Körperkontakt lässt sich kaum vermeiden. Man riecht Sonnencreme und funktionalen Polyesterstoff. Aber der Blick aus dem Fenster entschädigt für die Enge. Man sieht das Schloss aus einer Perspektive, die Ludwig II. vermutlich selbst geliebt hätte: klein, fast spielzeugartig, eingebettet in die dunklen Wälder und Seen.
Oben am Tegelberg ist immer was los. Das liegt vor allem an den Drachen- und Gleitschirmfliegern. Der Startplatz liegt direkt an der Terrasse des Panoramarestaurants. Es hat fast schon etwas Hypnotisches, bei einem Stück Käsekuchen dazusitzen und zuzusehen, wie sich die bunten Schirme aufblähen, die Piloten ein paar Schritte anlaufen und sich dann ins Nichts stürzen. Das Surren der Leinen, das kurze Rascheln des Stoffes, dann Stille. Manchmal hört man die Piloten noch juchzen, bevor sie zu kleinen Punkten verblassen. Wer sich traut, läuft den kurzen Weg zum Branderschrofen. Das ist der eigentliche Gipfel. Der Weg ist kurz, aber knackig und teilweise drahtseilversichert. Mit Flip-Flops hast du hier nichts verloren, auch wenn du mit der Bahn gekommen bist. Ernsthaft, lass es. Die Bergwacht hat genug zu tun.
Hochgrat: Retro-Charme auf der Nagelfluhkette
Ganz im Westen des Allgäus, bei Oberstaufen, ticken die Uhren etwas langsamer. Der Hochgrat ist kein Berg für High-Tech-Fans. Hier gibt es keine gläsernen Großraumkabinen mit WLAN und Sitzheizung. Hier gibt es kleine, fast schon nostalgische Gondeln, in die man sich zu viert hineinfaltet. Man sitzt sich gegenüber, die Knie berühren sich fast. Es knarzt und schaukelt ein bisschen mehr als anderswo. Aber genau das macht den Charme aus. Der Hochgrat ist der höchste Punkt der Nagelfluhkette. Geologisch ist das eine Kuriosität: Nagelfluh nennt man hier auch "Herrgottsbeton". Das Gestein sieht aus wie zusammengebackener Kies, lauter runde Kiesel in einer harten Masse. Ziemlich einzigartig in den Alpen.
Oben angekommen, merkt man, dass der Hochgrat frei steht. Der Wind pfeift hier oft ungebremst vom Bodensee herüber. Apropos Bodensee: Den sieht man bei gutem Wetter als silbernen Streifen am Horizont glitzern. Die Atmosphäre ist uriger. Es gibt weniger Schickimicki, dafür mehr Allgäuer Bodenständigkeit. Auf den alpwirtschaftlichen Flächen grasen im Sommer hunderte Stück Vieh. Wenn du Glück hast, erlebst du einen Alpabtrieb im Herbst, aber auch an normalen Sommertagen ist das Rindvieh allgegenwärtig. Ein "Muuuh" direkt neben dem Wanderweg ist hier der Soundtrack des Tages. Das Essen im Bergrestaurant ist solide, deftig. Kässpatzen sind Pflicht. Mit Röstzwiebeln, die im Fett schwimmen müssen, sonst taugen sie nichts. Diätpläne lässt du am besten unten an der Talstation.
Breitenberg: Der Unterschätzte bei Pfronten
Der Breitenberg in Pfronten läuft oft unter dem Radar, völlig zu Unrecht. Die Fahrt ist zweigeteilt: Erst die Kabinenbahn, dann der Vierersessel "Hochalpbahn". Das letzte Stück im offenen Sessel ist besonders schön, wenn die Nachmittagssonne das Gras golden färbt. Man baumelt mit den Beinen über den Wipfeln, unten rennen vielleicht ein paar Gämsen weg, wenn es ruhig ist. Oben thront die Ostlerhütte direkt auf dem Grat. Der Aufstieg von der Bergstation zur Hütte dauert etwa 30 Minuten und ist machbar, verlangt aber ein Minimum an Puste. Die Belohnung ist einer der besten 360-Grad-Blicke im Ostallgäu. Man sieht weit ins flache Voralpenland hinein, wo der Forggensee liegt wie eine blaue Pfütze.
Praktisches und Überlebenswichtiges
Jetzt noch Tacheles zu den Kosten und der Ausrüstung. Bergbahnen sind kein günstiges Vergnügen. Eine Berg- und Talfahrt für eine Familie kostet schnell so viel wie ein ausgiebiges Abendessen. Es lohnt sich fast immer, nach Gästekarten zu fragen. In Oberstdorf ist das Bergbahnticket im Sommer bei vielen Gastgebern inklusive, ebenso im Tannheimer Tal oder mit der KönigsCard im Ostallgäu. Das "Oberstaufen Plus" Paket ist ähnlich gestrickt. Wer das nicht nutzt, ist selber schuld oder hat zu viel Geld.
Und noch ein Wort zur Kleidung, auch wenn wir hier über "Genusswandern" reden. Auch auf 2000 Metern kann das Wetter binnen zehn Minuten umschlagen. Eben noch Sonne und 20 Grad, plötzlich Hagel und 5 Grad. Das ist kein Witz. Wer dann im Träger-Top und Sandalen an der Bergstation steht und zittert, sieht nicht nur albern aus, sondern riskiert eine Unterkühlung. Eine Windjacke und feste Schuhe gehören in den Rucksack, auch wenn man nur von der Bahn zum Restaurant schlurft. Der Berg ist kein Stadtpark. Er ist schön, aber er verzeiht keine Dummheit.