Westallgäu & Hügelland

Ein Roadtrip entlang der Käsestraße: Von Sennerei zu Sennerei im Westallgäu

Kupferkessel statt Fließband, Heumilch statt Einheitsbrei: Wir kurven von Hof zu Hof durchs Westallgäu, wo Tradition essbar ist und der Kofferraum am Ende garantiert strenger riecht als die Wanderschuhe.

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Zwischenablage

Es gibt diesen einen Moment, wenn man die Autotür öffnet und sofort weiß, wo man ist. Im Westallgäu riecht die Luft nicht einfach nur frisch; sie ist geschwängert vom Duft gemähter Wiesen, schwerer Erde und – seien wir ehrlich – einer soliden Note Kuhstall. Das gehört hier zum guten Ton. Wer sich auf die Westallgäuer Käsestraße begibt, sucht nicht das polierte Touristenprogramm, sondern das Echte. Und genau das findet man in Böserscheidegg. Die kleine Ortschaft, kaum mehr als eine Ansammlung von Höfen und einer Kapelle, beherbergt mit der Dorfsennerei Böserscheidegg (Böserscheidegg 12, 88175 Scheidegg) einen genossenschaftlichen Betrieb, der sich anfühlt wie eine Zeitreise.

Acht Landwirte liefern hier ihre Heumilch ab. Das ist keine industrielle Massenware, sondern das Ergebnis einer Fütterung, die konsequent auf gärende Silage verzichtet. Im Laden steht man oft Schlange, aber das Warten lohnt sich, um den Sennern durch die Scheibe beim Rühren im Kupferkessel zuzusehen. Spannend ist dabei, dass hier Tradition nicht Stillstand bedeutet: Neben dem klassischen Bergkäse wandern auch Varianten mit Rotwein über die Theke. Ein Laib Kräuterkäse und ein Stück frische Butter wandern als erste Trophäen in den Kofferraum – die Basis für jede künftige Brotzeit ist gelegt.

Von Originalen und Rebellen rund um Weiler

Die Straße windet sich weiter hinab Richtung Weiler. Die Landschaft wirkt hier wie ein grünes Tuch, das jemand achtlos über Möbel geworfen hat – hügelig, unvorhersehbar und wunderschön. In Weiler im Allgäu stößt man auf die Sennerei Bremenried eG (Bregenzer Straße 96, 88171 Weiler im Allgäu). Sie trägt den Titel "Originalsennerei" nicht aus Marketinggründen, sondern weil hier seit fast 120 Jahren kaum vom ursprünglichen Rezept abgewichen wurde. Neun Bauern, Rohmilch, Kupferkessel. Punkt. Wer im Sommer kommt, hat Glück: Bei den Führungen darf man tief in die Produktion blicken und verstehen, warum Löcher im Käse kein Mangel, sondern eine Kunst sind. Im "Käslädele" stapeln sich die Räder bis fast unter die Decke. Tipp: Probieren Sie den Schnittkäse mit Chili, wenn Sie Ihren Gaumen mal kurz aus dem klassischen "Mild-Würzig"-Trott reißen wollen.

Das Epizentrum des Geschmacks: Stiefenhofen

Ein paar Kilometer weiter östlich, in Stiefenhofen, ballt sich die Käsekompetenz auf bemerkenswerte Weise. Zuerst wäre da die Heumilch-Sennerei Rutzhofen (Rutzhofen 7, 88167 Stiefenhofen). Es ist einer dieser Orte, an denen man merkt, dass weniger oft mehr ist. Nur wenige Höfe liefern die Milch, aber was daraus entsteht, trägt oft goldene Plaketten der DLG. Der Rutzhofener Bergkäse hat Charakter – er "beißt" nicht unangenehm, aber er meldet sich kräftig am Gaumen. Dass sie auch Verkaufsstellen in den Nachbarorten haben, ist praktisch, aber der Besuch im Stammhaus hat einfach mehr Flair.

Nur einen Steinwurf entfernt, im Ortsteil Hopfen, steht ein backsteinroter Bau, der in der Szene fast schon Kultstatus genießt: die Baldauf Sennerei Hopfen (Hopfen 12, 88167 Stiefenhofen). Hier regiert Meisterkäser Alois Keck über 10000 Liter Milch täglich. Baldauf ist im Allgäu ein großer Name, doch in Hopfen spürt man noch das Handwerk. Die "Alpkäsle" sind kleine, kompakte Aromabomben, die sich hervorragend als Mitbringsel eignen – sofern sie die Heimfahrt überleben und nicht schon vorher als Proviant enden.

Der Schatz im Keller und kreative Köpfe

Apropos Baldauf: Wer verstehen will, was Zeit mit Käse macht, muss nach Lindenberg. Im Baldauf Käs- und Weinkeller (Goßholz 5, 88161 Lindenberg im Allgäu) lagern die Laibe wie Goldbarren in einer Bank. Es ist kühl, es riecht intensiv nach Reife und Ammoniak – ein Parfum, das Käsefans lieben. Hier wird veredelt: Wildblumen, Bärlauch, alles, was die Wiese hergibt, landet auf der Rinde. Und für alle, die nachts um drei Uhr plötzlich Heißhunger bekommen (soll ja vorkommen), steht vor der Tür ein Käseautomat. 24 Stunden Käse-Zugriff – das ist Service auf Allgäuer Art.

Szenenwechsel nach Grünenbach. Die Käsbaur Sennerei (Sennereiweg 2, 88167 Grünenbach) ist der Beweis, dass Tradition auch modern interpretiert werden kann. Familie Baur hat 2020 den alten Kasten übernommen und auf Bio-Heumilch umgekrempelt. Hier herrscht Experimentierfreude. Neben den Pflichtübungen wie Bergkäse gibt es hier Kreationen wie die "Süße Rosi" oder den "Käsopa". Das klingt nicht nur sympathisch, das schmeckt auch verdammt gut. Man merkt, dass hier eine neue Generation am Ruder ist, die das "Mia san Mia" (oder hier eher das Allgäuer Äquivalent) neu definiert.

Wo die Kühe Aussicht genießen: Maierhöfen und Oberreute

Fährt man weiter Richtung Maierhöfen, landet man bei der Bergwies Bio-Käserei & Alpwirtschaft Butterblume (Stockach 3, 88167 Maierhöfen). Der Name klingt lieblich, das Konzept ist handfest: Schaukäserei trifft Erlebnisbauernhof. Die Lage ist phänomenal. Während man auf der Sonnenterrasse Kässpatzen in sich hineinschaufelt, die so fädenziehend sind, dass man fast Angst bekommt, schauen die Kinder beim Melken zu. Es ist der perfekte Stopp, um die Beine auszustrecken und die Hektik des Alltags vollends abzustreifen.

Noch uriger wird es beim Heuhof & Schaukäserei Fink in Oberreute (Zellers 1, 88179 Oberreute). Alleinlage. Blick auf die Nagelfluhkette. Hier wird "gesennt wie anno dazumal". Das ist keine Floskel, sondern Programm. Man kann hier übernachten, schwimmen gehen und lernen, wie Käse entsteht – eine seltene Kombination aus Wellness und Landwirtschaft. Wer hier Bauernkäse kauft, nimmt ein Stück der Ruhe mit, die über diesem Hof liegt.

Bio-Pioniere in Isny und Wangen

Die Route führt uns in die Städte. In Isny im Allgäu zeigt die Käsküche Isny (Maierhöfener Straße 78, 88316 Isny im Allgäu), dass Transparenz der Schlüssel ist. Durch die Glasscheiben sieht man den Sennern auf die Finger. Wichtiges Detail: Hier wird nur Milch von horntragenden Kühen verarbeitet. Was für den Laien wie eine Nebensächlichkeit klingt, ist für die Qualität und das Tierwohl eine Philosophiefrage. Wer tiefer eintauchen will, bucht das Programm "Ländlich, löchrig, lecker" (Treffpunkt: Isny Info). Ein ganzer Tag, der sich nur um die Löcher im Käse dreht – inklusive Hofbesuch. Ideal für Gruppen, die nicht nur essen, sondern auch wissen wollen, warum Heumilch eigentlich gelber ist als Standardmilch.

Ein Stück weiter westlich, in Wangen, wartet die Biokäserei Zurwies (Zurwies 11, 88239 Wangen im Allgäu). Während anderswo Hartkäse dominiert, sind hier die Weichkäse die Stars. "Antons Liebe" oder das pfeffrige "Ärschle" sind überregional bekannt. Es ist ein Betrieb, der früh auf Bio setzte, als andere das noch für eine Spinnerei hielten. Der 24-Stunden-Automat rettet auch hier jeden spontanen Grillabend.

Hoch hinaus und tief verwurzelt

Wer den Roadtrip mit festem Schuhwerk verbinden will, muss nach Steibis. Die Bergkäserei Steibis (Im Dorf 12, 87534 Oberstaufen-Steibis) liegt strategisch günstig am Fuß des Hochgrats. Die Milchwege sind extrem kurz, die Bauern quasi Nachbarn. Der Käse hier oben schmeckt kräftiger, vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, aber die Höhenluft scheint den Reifeprozess zu beeinflussen. Nach einer Wanderung ein Stück Bergkäse und ein "Steibinger Eis" – besser wird ein Tag im Allgäu kaum.

Zum Abschluss noch zwei Schwergewichte. In Bodnegg produziert die Käserei Bauhofer (Kofeld 4, 88285 Bodnegg) seit 1911 Emmentaler im großen Stil, ohne dabei die handwerkliche Seele zu verlieren. Wer große Mengen für den Vorrat braucht, ist im Werksladen richtig. Und in Missen-Wilhams zeigt die Allgäuer Hof-Milch GmbH (Unterwillhams 9, 87547 Missen-Wilhams), wie man als moderne Molkerei faire Milchpreise und Naturschutz unter einen Hut bekommt. Ihre Produkte findet man in vielen Kühlregalen, aber direkt vor Ort schmeckt der Joghurt irgendwie frischer.

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