Oberallgäu & Allgäuer Alpen

Hopfengold & Braukunst: Eine Tour zu 9 Familienbrauereien im Oberallgäu

Pack den Durst ein. Wir gehen auf eine Tour zu neun Familienbrauereien im Oberallgäu, die Tradition nicht nur im Museum, sondern im massiven Glaskrug servieren.

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Zwischenablage

Wer an das Allgäu denkt, hat meist das Bimmeln von Kuhglocken im Ohr und das Bild von Schloss Neuschwanstein vor Augen. Das ist völlig in Ordnung, unterschlägt aber eine wesentliche kulturelle Säule dieser Region: die Braukunst. Hier, im tiefen Süden Deutschlands, ist die Dichte an unabhängigen Familienbrauereien so hoch wie kaum anderswo. Es ist kein durchgestyltes Marketing-Konstrukt, sondern gelebter Alltag. Wenn du hier in ein Wirtshaus gehst, bestellst du kein "Bier". Du bestellst ein Helles, ein Dunkles oder ein Weizen, und du bekommst Geschichte serviert. Oftmals gebraut von Familien, die ihre Rezepte schon hüteten, als Amerika noch gar nicht auf der Landkarte verzeichnet war.

Interessant ist dabei die fast schon sture Beharrlichkeit der Allgäuer Brauer. Industriebier? Fehlanzeige. Man kennt sich, man hilft sich, aber man ist auch stolz auf die eigene Note. Das Wasser kommt direkt aus dem Fels, der Hopfen oft aus der nahen Hallertau oder Tettnang, und die Geduld ist die wichtigste Zutat. Wir nehmen dich mit auf eine Route, die kreuz und quer durch das Oberallgäu führt – vom "Wächter des Allgäus" bis zur südlichsten Stadt Deutschlands.

Rettenberg: Das Dorf, das den Durst löscht

Es gibt Dörfer mit einer Kirche und Dörfer mit einem Supermarkt. Und dann gibt es Rettenberg. Dieser Ort am Fuße des Grünten nennt sich selbstbewusst "Brauereidorf", und das ist keine Übertreibung. Auf gut 4.000 Einwohner kommen gleich drei Brauereien. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – am besten wortwörtlich.

Beginnen wir mit einem Giganten der Geschichte: der Privat-Brauerei Zötler. Wenn du vor dem Gebäude in der Grüntenstraße stehst, blickst du auf eine Institution. Mit Niklas Zötler steht mittlerweile die 21. Generation am Ruder. Das ist keine Zahl, die man einfach so überliest. Wir sprechen hier von einer Tradition, die wahrscheinlich bis ins Jahr 1447 zurückreicht. Eine Urkunde aus jener Zeit erwähnt einen Wirt namens Conrat Bach, und auch wenn diverse Brände – der letzte große 1917 – die Papierspuren weitgehend vernichtet haben, schmeckt man das Alter. Mit 88.500 Hektolitern Jahresausstoß ist Zötler der Platzhirsch im Dorf. Besonders spannend: das "1447 Kellerbier". Es ist naturtrüb, vollmundig und schmeckt so, wie Bier vermutlich schmeckte, bevor die moderne Filtration alles glattbügelte. Wer Zeit hat, bucht eine Führung. Es lohnt sich, nicht nur wegen der Verkostung danach, sondern um zu verstehen, wie man über Jahrhunderte Qualität hält.

Nur einen Steinwurf entfernt, quasi in Sichtweite, wartet die Konkurrenz – wobei man hier eher von Nachbarschaft spricht. Engelbräu liegt direkt an der Burgberger Straße. Seit 1668 wird hier gebraut. Die Familie Widenmayer führt den Betrieb in der vierten Generation und hat eine bewegte Geschichte hinter sich, inklusive eines Großbrandes im Jahr 1727 und einer Phase im 19. Jahrhundert, in der die Brauerei achtmal den Besitzer wechselte wie ein heißer Erdapfel. Seit 1899 ist aber Ruhe eingekehrt – zumindest in den Besitzverhältnissen. Im Sudhaus brodelt es natürlich weiter. Rund 20 Sorten umfasst das Portfolio. Wenn du im angeschlossenen Brauereigasthof sitzt, vielleicht im Biergarten mit Blick auf die kupfernen Kessel, solltest du die preisgekrönten Spezialitäten probieren. Es hat etwas Beruhigendes, am Fuß des Grünten zu sitzen und zu wissen, dass dieses Bier genau hierher gehört.

Aber Rettenberg hat noch ein Ass im Ärmel, und das liegt ein paar Höhenmeter weiter oben. In Kranzegg hat Braumeister Berni Göhl etwas Verrücktes gemacht: Er hat eine alte Seilbahnstation in eine Brauerei verwandelt. BernardiBräu ist damit Deutschlands höchstgelegene Privatbrauerei. Das klingt nach einem Marketing-Gag, ist aber handwerklich erste Sahne. Berni braut streng nach dem Reinheitsgebot von 1516, und das Wasser fällt quasi direkt vom Berg in den Kessel – frischer geht es nicht. Die "BierAlp" ist der Ort, an dem du nach einer Wanderung einkehren willst. Es ist urig, es riecht nach Holz und Malz, und jeden Freitag erklärt der Chef persönlich, wie aus Wasser, Hopfen und Malz "Ebbas Bsonders" wird. Ein echter Kontrast zu den großen Traditionsbetrieben im Tal.

Sonthofen und Missen: Wo Asche zu Gold wurde

Fahren wir weiter nach Süden, in die Stadt Sonthofen. Hier regiert der Hirsch. Die Privatbrauerei Höss – Der Hirschbräu – ist ein Paradebeispiel für Allgäuer Resilienz. Die Geschichte begann 1657 mit dem "Hirschwirt" Hans Papst. Mitte des 20. Jahrhunderts lag die Brauerei nach einem Brand in Schutt und Asche. Aufgeben? Keine Option. Die Familie Höss baute alles wieder auf, und heute führen sie den Betrieb in der zehnten Generation. Was hier auffällt, ist der Spagat zwischen Tradition und Moderne. Einerseits gibt es die klassischen Sorten, die in der Region in jedem Getränkemarkt stehen. Andererseits exportiert Hirschbräu in 19 Länder. Man findet das "Neuschwansteiner" oder das "Holzar Bier" (mit dem Bügelverschluss, der so schön "ploppt") mittlerweile weit über die Grenzen hinaus. Trotzdem: Am besten schmeckt es frisch gezapft im Brauereigasthof, wo man spürt, dass hier das Herz des Unternehmens schlägt.

Ein Stück nordwestlich, im "Bergstätt Gebiet", liegt Missen-Wilhams. Die Landschaft hier ist etwas sanfter, hügeliger, und genau das ist das Geheimnis von Schäffler Bräu. Das Wasser hier ist extrem weich – ein Geschenk für jeden Brauer. Sebastian, Nadine und Florian Graßl leiten den Betrieb in der sechsten Generation. Auch hier: Ein Großbrand 1913, später die Zwangspause im Zweiten Weltkrieg. Aber die Brauerei kam immer wieder zurück. Heute wirkt der Betrieb sehr aufgeräumt und zukunftsorientiert ("Tradition meets Zukunft"). Neben dem Hellen, das hier fast schon ein Grundnahrungsmittel ist, wagen sie sich auch an kreative Saisonbiere. Der Gasthof & Hotel Schäffler ist zudem ein perfekter Basisstützpunkt, wenn man die Gegend erkunden will, ohne abends noch fahren zu müssen.

Ganz im Süden: Oberstdorf und Pfronten

Oberstdorf ist touristisch gesehen der Hotspot im Allgäu. Skispringen, Wandern, Nebelhorn. Mitten im Trubel, am Bahnhofplatz, steht die Oberstdorfer Dampfbierbrauerei. Sie ist im Vergleich zu den anderen ein Jungspund, gegründet 1998. Aber lass dich vom Baujahr nicht täuschen. Das hier ist keine Touristenfalle, sondern ernsthaftes Handwerk. Die kupfernen Kessel stehen mitten im Gastraum. Du kannst dem Brauer quasi auf die Finger schauen, während du an deinem Glas nippst. Das "Dampfbier" ist unfiltriert – "Zwickel" würde man anderswo sagen. Es ist trüb, gehaltvoll und lebendig. Die Atmosphäre in der "Dampfe" ist oft laut, fröhlich und musikgeladen (Live-Musik donnerstags und samstags). Wer die stille Kontemplation sucht, ist hier vielleicht falsch, aber wer feiern will, dass er gerade vom Berg runter ist, ist hier goldrichtig.

Rüber nach Pfronten. Die Kulisse hier ist fast kitschig schön, mit dem Breitenberg und dem Blick auf die Tannheimer Berge. Der Braugasthof Falkenstein nutzt genau diese Kulisse. Seit dem Jahr 2000 wird hier wieder gebraut, wobei die Tradition bis 1902 zurückreicht. Die Falkensteiner machen keine Massenware. Sie konzentrieren sich auf frische, reine Biere, die oft nur hier ausgeschenkt werden. Besonders cool ist die "Castle Beer Sonderserie". Bis zu achtmal im Jahr hauen sie limitierte Spezialbiere raus – mal stärker, mal hopfiger, immer interessant. Und weil Bier hungrig macht: Achte auf das "Landzunge"-Siegel. Das Fleisch kommt vom Allgäuer Weiderind, der Käse von der Alm nebenan. Das ist Soulfood auf Allgäuerisch.

Nesselwang und Kronburg: Frauenpower und Schlossgeschichte

In Nesselwang fällt sofort ein Gebäude mit sonnengelber Fassade auf: Der Brauerei-Gasthof Hotel Post. Hier wird Geschichte nicht nur verwaltet, sondern von Stephanie Meyer in fünfter Generation neu interpretiert. Dass eine Frau als Braumeisterin am Sudkessel steht, ist in der konservativen Bierwelt immer noch bemerkenswert, auch wenn es eigentlich längst normal sein sollte. Stephanie beweist mit Kreationen wie der "Liberalitas Bavariae" (ein dreifach gehopftes Weizen-Starkbier), dass Tradition nicht langweilig sein muss. Die Wurzeln gehen bis 1650 zurück, kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg. Wenn du nett fragst oder eine Führung buchst, kommst du vielleicht in den historischen Bierkeller aus dem 17. Jahrhundert – dort ist heute das Brauereimuseum untergebracht. Ein Ort, der förmlich nach Geschichte atmet.

Zum Abschluss ein Abstecher nach Kronburg, etwas nördlicher gelegen. Die Brauerei Kronburg – Gasthof zur Krone ist ein Kleinod. Seit 1576 wird der Ort urkundlich erwähnt, seit 1891 ist die Familie Schweighart am Ruder. Florian und Alexandra führen den Betrieb mit einer Hingabe, die man bei großen Konzernen vergeblich sucht. "Klein, aber fein" trifft es hier perfekt. Mit rund 5.000 Hektolitern Jahresausstoß kennt der Brauer vermutlich jedes Fass persönlich. Der Neubau der Brauerei hat modernste Technik gebracht, aber das Verfahren bleibt klassisch. Probier unbedingt das Bio-Zwickel. Es ist eines dieser Biere, bei denen man nach dem ersten Schluck unwillkürlich zufrieden ausatmet. Der Biergarten unter alten Bäumen tut sein Übriges zur Entspannung.

Fazit: Hock di her!

Eine Tour zu den Brauereien im Oberallgäu ist mehr als nur Alkoholkonsum. Es ist eine Reise durch Familienchroniken, durch Brände und Wiederaufbau, durch Täler und über Berge. Was alle diese Orte verbindet, ist die Gastfreundschaft. In vielen dieser Braugasthöfe gilt noch das ungeschriebene Gesetz: Wenn am Tisch noch Platz ist, setzt man sich dazu. Man kommt ins Gespräch, man stößt an, und für einen Moment ist die Welt in Ordnung. Also, worauf wartest du? Das Allgäu ist zapfbereit.

Übersicht der Brauereien

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