Oberallgäu & Allgäuer Alpen

Die Mutter aller Klettersteige: Den legendären Heilbronner Weg bezwingen

Nichts für schwache Nerven und erst recht nichts für Sonntagswanderer in Sandalen: Der Heilbronner Weg ist die alpine Reifeprüfung im Allgäu. Wer hier oben balanciert, tauscht Alltagssorgen gegen pures Adrenalin und Ausblicke, die bis in die Dolomiten reichen.

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Zwischenablage

Man muss ehrlich sein: Es gibt Berge, die man mal eben so mitnimmt, und dann gibt es Unternehmungen, die sich tief ins Gedächtnis brennen. Der Heilbronner Weg gehört definitiv in die zweite Kategorie. Er ist nicht einfach nur ein Wanderweg, er ist eine Institution. Seit 1899 klammern sich hier Bergsteiger an den Hauptkamm der Allgäuer Alpen, immer mit einem Bein in Deutschland, mit dem anderen in Österreich. Es ist der älteste Klettersteig der Nördlichen Kalkalpen, und genau das spürt man auch. Hier wurde nicht modernster Sportkletter-Schnickschnack in den Fels gebohrt, sondern eine logische, kühne Linie durch eine wilde Felslandschaft gezogen. Wer Respekt vor der Höhe hat, ist hier genau richtig. Wer Angst hat, sollte unten bleiben.

Der Startpunkt für die meisten ist die Rappenseehütte. Sie thront wie ein Adlerhorst über dem Rappenalptal und ist meistens brechend voll. Das gehört dazu. Man sitzt abends bei einem Weizenbier zusammen, die Luft im Gastraum ist dick von Gesprächen über Wetterberichte und Routenplanung, und es riecht nach Kaiserschmarrn und nassem Gore-Tex. Man tauscht Blicke aus, taxiert die anderen: Schaffen die das? Schaffe ich das? Die Nacht im Matratzenlager ist meist kurz und unruhig, geprägt von Schnarchkonzerten und der Vorfreude, die einem im Magen liegt. Wenn dann morgens um sechs Uhr der Wecker klingelt, ist die Müdigkeit wie weggeblasen. Draußen ist die Luft noch schneidend kalt, der Tau liegt auf den Wiesen, und der Fels wirkt im ersten Morgenlicht fast ein wenig abweisend.

Der Einstieg: Kein Spaziergang

Gleich zu Beginn wird klar gemacht, dass der Heilbronner Weg kein Kurpark ist. Der Aufstieg von der Hütte hinauf zur Großen Steinscharte treibt den Puls in die Höhe, noch bevor man überhaupt den eigentlichen Steig erreicht hat. Viele nehmen hier noch schnell das Hohe Licht mit. Mit 2.651 Metern ist es einer der markantesten Gipfel der Gegend. Den Rucksack kann man unten am Abzweig stehen lassen – eine Befreiung für den Rücken, zumindest für eine halbe Stunde. Oben am Gipfelkreuz stehend, sieht man dann zum ersten Mal, worauf man sich eingelassen hat: Ein wildgezackter Grat zieht sich nach Nordosten, eine steinerne Wirbelsäule, die Himmel und Erde verbindet. Es sieht machbar aus, aber eben auch verdammt weit.

Der eigentliche Startschuss fällt am Heilbronner Thörle. Es ist ein schmaler Felsdurchschlupf, kaum breiter als eine Person. Man quetscht sich hindurch und steht plötzlich in einer anderen Welt. Die Südseite bricht steil ab, Schutthalden ziehen sich hunderte Meter hinunter ins Lechtal. Ab hier ist Konzentration die härteste Währung. Der Weg verläuft oft direkt auf der Gratschneide. Mal geht man auf schmalen Bändern, mal muss man die Hände zu Hilfe nehmen. Drahtseile gibt es viele, aber nicht überall. Das ist der große Unterschied zu modernen Klettersteigen, wo man sich quasi permanent einklinken kann. Am Heilbronner muss man "steigen" können. Trittsicherheit ist hier kein leeres Wort aus dem Wanderführer, sondern die Lebensversicherung.

Die Schlüsselstellen: Luft unter den Sohlen

Irgendwann kommt sie dann, die Stelle, die jeder von Fotos kennt: die Leiterbrücke am Steinschartenkopf. Sie ist das Wahrzeichen des Weges. Eine einfache Aluminiumleiter, horizontal über eine Scharte gelegt. Darunter: viel Luft. Technisch ist das eigentlich banal, man muss nur einen Fuß vor den anderen setzen. Psychologisch ist es ein ganz anderes Kaliber. Der Blick stürzt in die Tiefe, der Wind pfeift gerne mal genau durch diese Lücke, und das Geländer wirkt eher wie eine moralische Stütze denn als physische Barriere. Wer hier zögert, blockiert den Verkehr. Aber wenn du drüben bist, fühlst du dich kurzzeitig unverwundbar. Ein kurzes Grinsen zum Nachmann, dann geht es weiter.

Unterschätzen darf man dabei das Gelände zwischen den Sicherungen nicht. Es ist dieses typische Allgäuer Schrofengelände – eine Mischung aus brüchigem Fels, steilem Gras und Geröll. Besonders wenn es am Vortag geregnet hat, wird der Kalkstein schmierig wie Seife. Man muss jeden Schritt bewusst setzen, prüfen, ob der Tritt hält. Es ist eine meditative Arbeit, dieses Gehen. Der Kopf wird leer, Probleme aus dem Tal – die unbezahlte Rechnung, der Ärger mit dem Chef – verblassen zu völliger Bedeutungslosigkeit. Alles, was zählt, ist der nächste Meter Fels.

Wetterküche Hauptkamm

Das Wetter spielt hier oben eine Hauptrolle, oft sogar die des Bösewichts. Der Allgäuer Hauptkamm ist die erste Barriere für Wolken, die aus dem Nordwesten heranrollen. Das bedeutet: Es regnet hier viel und heftig. Ein Gewitter am Heilbronner Weg ist der Albtraum schlechthin. Es gibt kaum Unterstand, und die Drahtseile verwandeln sich in perfekte Blitzableiter. Wer schwarze Wolken aufziehen sieht, sollte Beine machen. Der Notabstieg am Waltenberger Haus ist steil und ruppig, aber er ist der einzige Fluchtweg, wenn es oben ungemütlich wird. Man sollte den Himmel also immer im Auge behalten, auch wenn die Aussicht auf die Wildspitze und den Hochvogel noch so fesselnd ist.

Der lange Weg zum Bier

Nach dem Bockkarkopf, dem höchsten Punkt direkt am Weg, glaubt man oft, das Schlimmste sei geschafft. Ein Trugschluss, der schon vielen die Laune verhagelt hat. Der Weg zieht sich. Er zieht sich gewaltig. Es geht ständig rauf und runter, über Rippen und durch Rinnen. Die Oberschenkel beginnen zu brennen, die Knie melden sich mit leisem Protest. Man merkt jetzt, dass man seit Stunden hochkonzentriert unterwegs ist. Die geistige Ermüdung ist oft gefährlicher als die körperliche. Man stolpert leichter. Genau jetzt heißt es: Zusammenreißen. Ein Riegel, ein Schluck Wasser, kurz durchatmen.

Wer das Ziel, meist die Kemptner Hütte, endlich in der Ferne sieht, verspürt eine tiefe Erleichterung. Doch bis man dort auf der Terrasse sitzt, muss noch der Abstieg bewältigt werden. Oder man geht weiter zum Waltenberger Haus, der kleinsten und vielleicht charmantesten Hütte der Gegend, die klebt wie ein Schwalbennest am Fels. Egal wo man landet: Das erste Getränk schmeckt nirgendwo so gut wie nach dieser Tour. Es ist dieses Gefühl von ehrlicher Erschöpfung, gemischt mit Stolz. Man hat dem Berg nichts weggenommen, aber er hat einem etwas gegeben.

Praktische Überlebenshilfe

Damit das Abenteuer nicht im Desaster endet, ein paar Tacheles-Tipps zum Schluss:

  • Ausrüstung ist Pflicht, keine Kür: Helm und Klettersteigset gehören an den Mann oder die Frau. Auch wenn alte Hasen das manchmal ohne machen – ein Ausrutscher an der falschen Stelle endet fatal. Feste Bergschuhe sind sowieso klar. Turnschuhe sind hier oben grob fahrlässig.
  • Zeitmanagement: Wer erst um 10 Uhr an der Rappenseehütte losgeht, kommt garantiert in Zeitnot oder in das Nachmittagsgewitter. Startet früh. Spätestens um 7 Uhr solltet ihr auf dem Weg sein.
  • Wasser: Oben gibt es keine Quellen. Gar keine. Was du nicht im Rucksack hast, hast du nicht. An heißen Tagen sind zwei bis drei Liter Minimum. Nichts ist elender als Durst am Grat.

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