Es beginnt unten im Tal, in Ratholz bei Immenstadt. Du stehst auf dem Parkplatz, schaust nach oben und siehst: Wald. Viel Wald. Um in Bayerns größten Kletterwald zu gelangen, musst du erst einmal Höhenmeter machen. Die meisten nehmen die Sesselbahn. Das ist der „Alpsee Bergwelt“-Sessellift, der dich gemütlich über die Köpfe der Wanderer hinwegschaukelt. Man kann natürlich auch laufen. Der Weg zieht sich, ist stellenweise steil und kostet dich etwa eine Stunde Zeit und die erste Schicht Schweiß. Wer oben klettern will, spart sich die Körner meist lieber für die Bäume auf. Während die Bahn surrend nach oben zieht, verändert sich die Geräuschkulisse. Der Straßenlärm der B308 verstummt, Kuhglocken übernehmen das Kommando. Oben angekommen, auf gut 1.100 Metern Höhe, riecht es nach Fichtenadeln und Frittierfett. Letzteres kommt aus der „Berghütte Bärenfalle“, dem kulinarischen Zentrum dieses Areals. Aber Essen gibt es später. Erstmal muss der Gurt sitzen.
Das Areal: Ein Spinnennetz aus Stahlseilen
Wenn man behauptet, dieser Kletterwald sei groß, ist das keine Übertreibung der Marketingabteilung. Er ist riesig. Wir reden hier nicht von fünf kleinen Parcours, die man in einer Stunde abfrühstückt. Insgesamt 19 verschiedene Routen schlängeln sich durch den Bergwald. Das Gelände ist weitläufig, fast unübersichtlich. Manchmal sieht man vor lauter Bäumen den Kletterer nicht, sondern hört nur das metallische Sirren der Seilrollen. Über 190 Kletterelemente sind hier verbaut. Das reicht, um einen ganzen Tag zu füllen, ohne denselben Weg zweimal gehen zu müssen. Das Holz der Plattformen ist grau verwittert, fügt sich fast organisch in den Wald ein, wäre da nicht das ständige Klicken der Karabiner, das durch den Wald hallt wie ein technischer Specht.
Bevor du dich in die Seile hängst, geht es zur Materialausgabe. Die Gurte sind massiv, das Sicherungssystem modern. Es nennt sich „Smart Belay“. Das bedeutet für Laien: Du hast zwei Karabiner, die miteinander kommunizieren. Ist einer offen, blockiert der andere. Du kannst dich also faktisch nicht versehentlich komplett aushängen. Das beruhigt ungemein, gerade wenn man später zehn, fünfzehn Meter über dem Waldboden an einem wackeligen Steigbügel hängt und sich fragt, warum man das eigentlich freiwillig macht. Nach der obligatorischen Einweisung – kurz, knackig, humorlos sicherheitsorientiert – entlässt man dich in die Wildnis. Du bist jetzt auf dich allein gestellt, auch wenn die Guides in ihren leuchtenden Shirts immer irgendwo unten am Boden patrouillieren und Hälse recken.
Für Einsteiger und Vorsichtige: Gelb bis Blau
Man fängt klein an. Die Parcours sind farblich markiert, wie Skipisten, nur dass es hier mehr Abstufungen gibt. Die gelben und grünen Routen sind zum Warmwerden. Hier geht es nicht um Adrenalin, sondern um Balance. Du balancierst über Balken, kriechst durch Holztunnel oder hangelst dich an Netzen entlang. Die Höhe ist moderat, der Boden wirkt noch greifbar nah. Es ist der Bereich, in dem man sich an das Material gewöhnt. Wie reagiert der Gurt, wenn ich mich reinsetze? Wie viel Schwung brauche ich für die Seilrutsche? Man sieht hier viele Familien, Väter, die ihren Kindern Mut zusprechen, und Mütter, die skeptisch die Statik der Bäume prüfen. Es ist voll, ja, besonders an Wochenenden oder in den Ferien. Da staut es sich schon mal an den Plattformen. Aber das gehört dazu. Man hat Zeit, die Aussicht zu genießen. Und die ist, wenn man mal kurz den Blick vom wackeligen Holzbrett unter den Füßen hebt, ziemlich „bompfortionös“, wie der Allgäuer vielleicht sagen würde, wenn er gute Laune hat. Zwischen den Ästen blitzt der Große Alpsee im Tal hervor, tiefblau, eingerahmt von grünen Hügeln.
Wenn die Arme brennen: Die rote und schwarze Zone
Irgendwann wird es ernst. Wer die leichten Parcours durch hat, wagt sich an Rot und Schwarz. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Die Plattformen wandern höher am Baumstamm hinauf. Zehn Meter, fünfzehn Meter. Der Blick nach unten sorgt für dieses flaue Gefühl in der Magengegend, das Kletterpark-Fans so lieben. Die Hindernisse werden gemeiner. Statt stabiler Brücken gibt es nun freischwingende Reifen, Snowboards, die an Seilen hängen und keinen Halt bieten, oder bloße Schlaufen, in die man den Fuß einfädeln muss. Kraft ist jetzt gefragt. Körperbeherrschung auch.
Ein Highlight für Masochisten ist der schwarze Parcours. Er verlangt dir alles ab. Es gibt Stellen, da hängst du in den Seilen, der Schweiß rinnt dir in die Augen, und du fluchst leise vor dich hin. Aber genau das ist der Reiz. Das Überwinden. Wenn du dann am Ende des Parcours auf der Plattform stehst, den Karabiner in die lange Seilrutsche einklinkst und ins Nichts springst, ist die Anstrengung vergessen. Der Wind pfeift, der Wald verschwimmt zu einem grünen Tunnel. Dieser Moment des freien Flugs, bevor die Bremse dich sanft (oder manchmal auch etwas ruppig) am Ende in das Polster drückt, ist der Lohn für die Schinderei.
Besonders erwähnenswert sind die Kletterelemente, die Kreativität erfordern. Da gibt es zum Beispiel eine Glocke, die man läuten muss, während man in einer unmöglichen Position über dem Abgrund baumelt. Oder Schlittenfahrten in luftiger Höhe. Es ist dieser spielerische Aspekt, der die Bärenfalle auszeichnet. Man merkt, dass die Planer hier Spaß hatten. Sie wollten nicht nur Schwierigkeit, sie wollten Unterhaltung.
Kleine Tarzane: Der Kletterbär
Für die ganz Kleinen, die noch nicht in die hohen Seile dürfen, gibt es einen separaten Bereich: den „Kletterbär“. Das ist klug gelöst. Kinder ab drei Jahren können hier, gesichert durch ein einfacheres System, in Bodennähe üben. Eltern stehen daneben, können eingreifen, Fotos machen oder einfach nur aufpassen, dass kein Drama entsteht. Es ist eine Art Vorstufe zum „echten“ Klettern, aber liebevoll gestaltet. Keine lieblose Ecke mit einer Schaukel, sondern ein echter Parcours, nur eben geschrumpft. Das macht die Anlage extrem familienfreundlich, weil man die Gruppe aufteilen kann: Die Großen schwitzen oben in den Wipfeln, die Kleinen üben unten, und am Ende treffen sich alle mit dreckigen Hosen wieder.
Die Hütte: Belohnung muss sein
Nach drei, vier Stunden in den Bäumen bist du fertig. Die Finger sind steif, die Unterarme hart wie Stein. Zeit für die „Berghütte Bärenfalle“. Sie liegt direkt neben dem Kletterwald-Eingang. Es ist eine dieser typischen Alpen-Gaststätten: viel Holz, große Terrasse, deftiges Essen. Man bestellt hier Kässpatzen. Das ist im Allgäu fast schon Gesetz. Oder einen Wurstsalat. Die Portionen sind ordentlich, die Preise touristisch, aber im Rahmen. Man sitzt dort, die Sonne im Gesicht, und beobachtet die anderen, die noch in den Bäumen hängen. Es hat was von Logenplatz. Wenn viel los ist, und das ist es oft, herrscht hier ein ziemliches Gewusel. Bedienungen schleppen Maßkrüge, Kinder rennen herum, Wanderer mischen sich unter die Kletterer. Es ist laut, es ist lebendig, es ist herrlich unperfekt.
Der Abgang: Rasant oder zu Fuß
Irgendwann muss man wieder runter. Du könntest den Sessellift nehmen. Aber wer will das schon, wenn direkt nebenan der „Alpsee Coaster“ startet? Das ist eine Ganzjahres-Rodelbahn auf Schienen. Knapp drei Kilometer lang. Du setzt dich in den Schlitten, schnallst dich an und drückst den Hebel nach vorn. Die Bahn zieht dich durch Kurven, über Wellen und Jumps. Du bestimmst das Tempo selbst, aber wer bremst, verliert bekanntlich. Der Wind treibt dir die Tränen in die Augen, der Wald fliegt vorbei. Es ist der perfekte Abschluss für einen Tag voller Adrenalin. Unten in der Talstation steigst du aus, die Beine vielleicht noch etwas wackelig, aber mit diesem breiten Grinsen im Gesicht, das man nur hat, wenn man den inneren Schweinehund besiegt hat.
Praktisches: Was du wissen musst
Ein paar Sachen sollte man vorher wissen, damit der Ausflug kein Reinfall wird. Erstens: Das Wetter. Bei Gewitter wird logischerweise geräumt. Ein bisschen Nieselregen stört im Wald weniger, das Blätterdach hält viel ab, aber bei Starkregen macht es keinen Spaß, weil die Holzelemente rutschig wie Schmierseife werden. Zweitens: Die Kleidung. Feste Schuhe sind Pflicht. Wer mit Flip-Flops kommt, darf unten bleiben und Eis essen. Zieht euch Sachen an, die dreckig werden dürfen. Harzflecken sind hartnäckig und gehen aus teuren Markenklamotten kaum wieder raus. Auch Handschuhe sind eine Überlegung wert. Man kann sie dort kaufen, aber einfache Arbeitshandschuhe oder Fahrradhandschuhe tun es auch, um Blasen zu vermeiden.
Zeitlich sollte man wirklich einen ganzen Tag einplanen oder zumindest einen halben. Wer erst um 15 Uhr aufschlägt, schafft nur einen Bruchteil der Parcours und ärgert sich über den Eintrittspreis. Der ist nämlich nicht ohne, aber angesichts der Größe der Anlage und der Wartung gerechtfertigt. Und noch ein Tipp: Werktags ist es deutlich entspannter. Wer kann, kommt unter der Woche. Dann hat man den Wald fast für sich allein und muss an den schwierigen Stellen nicht warten, bis der Vordermann endlich den Mut gefunden hat, zu springen.