Immenstadt, von den Einheimischen oft einfach nur "s'Städtle" genannt, macht es einem nicht immer sofort leicht, sich schockverliebt an eine Hauswand zu lehnen. Es ist keine reine Puppenstube wie vielleicht Oberstdorf, sondern eine gewachsene Stadt, die arbeitet, lebt und atmet. Genau das macht den Reiz aus. Du stehst auf dem Marienplatz und spürst, dass hier Geschichte nicht nur konserviert, sondern weitergeschrieben wird. Das Stadtschloss am Platz ist so ein Ding. Von außen wirkt es stattlich, fast ein bisschen zu groß für den Platz, aber es erzählt von der Zeit, als die Grafen von Königsegg-Rothenfels hier das Sagen hatten. Heute hocken die Leute im Café davor, die Kinder rennen um den Marienbrunnen, und der Verkehr rauscht manchmal etwas zu hörbar in der Nähe vorbei. Aber das Schloss selbst ist ein Hingucker. Wenn du genau hinsiehst, bemerkst du den Prunk, der aber nie protzig wirkt, sondern eher solide. Bodenständig eben, wie die Allgäuer.
Du solltest dir die Zeit nehmen, durch die Gassen rund um den Klosterplatz zu schlendern. Hier riecht es oft nach frisch geröstetem Kaffee oder, wenn der Wind ungünstig steht, auch mal nach Landwirtschaft – das gehört dazu. Die Stadtpfarrkirche St. Nikolaus dominiert die Silhouette. Tritt ruhig mal ein, auch wenn du mit Religion nichts am Hut hast. Die Stille drinnen ist ein harter Kontrast zum wuseligen Markttreiben draußen. Manchmal übt der Organist, und die Bässe wummern durch das alte Gemäuer, dass man es in der Magengrube spürt. Ein Stück weiter findest du das Hofgarten-Areal. Früher flanierten hier Adlige, heute skaten Jugendliche oder Rentner führen ihre Dackel aus. Diese Mischung aus historischer Erhabenheit und banalem Alltag gibt Immenstadt eine Ehrlichkeit, die vielen reinen Touristenorten völlig abgeht.
Der Wächter im Süden: Mittagberg und Nagelfluh
Man kann nicht über Immenstadt reden, ohne den Mittagberg zu erwähnen. Er liegt der Stadt quasi im Nacken. Und er ist dein Einstieg in eine geologische Besonderheit, die es so nur hier gibt: die Nagelfluhkette. Die Einheimischen nennen das Gestein gerne "Herrgottsbeton". Wenn du dir die Felsen ansiehst, weißt du warum. Es sieht aus, als hätte ein Riese Flusskiesel in Zement gerührt und zu Bergen aufgehäuft. Das ist keine glatte Kalkwand, das ist bröselig, rund und faszinierend.
Um raufzukommen, nimmst du die Mittagbahn. Erwarte keine hypermoderne Gondel mit Sitzheizung und WLAN. Das hier ist ein Sessellift, bei dem du den Wind im Gesicht hast und die Beine in der Luft baumeln. Die Fahrt dauert, und sie entschleunigt zwangsweise. Oben angekommen, stehst du auf dem Grat. Der Blick geht weit in die Alpen hinein, rüber zum Grünten, dem "Wächter des Allgäus", und bei Föhnwetterlage siehst du Gipfel, die eigentlich viel zu weit weg sein sollten. Von hier aus startet eine der schönsten Gratwanderungen der Region: rüber zum Steineberg. Wer schwindelfrei ist, klettert über die fast schon legendäre lange Leiter am Gipfelaufbau. Wer weiche Knie bekommt, nimmt den Umweg außen rum. Das ist keine Schande, der Weg ist steil genug.
Im Winter ist der Mittagberg eher was für Nostalgiker. Es gibt eine Rodelbahn, die es in sich hat. Wenn der Schnee passt, saust du auf dem Schlitten bis fast in die Stadt hinunter. Das rumpelt, das spritzt, und am Ende hast du Schnee im Kragen und ein Grinsen im Gesicht, das man nur schwer wieder wegkriegt. Skifahren kann man hier auch, aber es ist kein Vergleich zu den großen Arenen. Es ist eher das Skifahren, wie es in den 80ern war: ehrlich, ein bisschen bucklig und ohne Aprés-Ski-Beschallung aus jeder Hütte.
Das blaue Auge: Großer Alpsee
Nur einen Katzensprung – oder eine kurze Busfahrt – westlich vom Zentrum liegt der Große Alpsee. Er ist die größte natürliche Wasserfläche im Allgäu und für viele Immenstädter das verlängerte Wohnzimmer. Im Sommer wird es hier voll, das muss man wissen. Der Ortsteil Bühl verwandelt sich an heißen Tagen in einen Ameisenhaufen aus Badegästen, Seglern und Tretbootfahrern. Aber der See ist groß genug, dass man sich aus dem Weg gehen kann. Das Wasser ist selten badewannenwarm; es kommt frisch aus den Bergen und behält eine gewisse Knackigkeit, die einen morgens schneller wach macht als jeder Espresso.
Spannend ist dabei, dass der See zwei Gesichter hat. Vorne in Bühl ist der Trubel, die Cafés, die Promenade, wo man "sehen und gesehen werden" spielt. Weiter hinten, Richtung Trieblings, wird es ruhiger. Das Schilf raschelt, Haubentaucher dümpeln im Wasser, und der Lärm der Straße verblasst. Hier kannst du den Seglern zuschauen, wie sie mit den tückischen Winden kämpfen. Denn der Alpsee ist für seine Fallwinde berüchtigt. Oft liegt der See spiegelglatt da, und fünf Minuten später peitscht der Wind Schaumkronen auf die Wellen. Ein Paradies für Kiter, wenn das Wetter umschlägt.
Gleich nebenan, fast schon untrennbar verbunden, ist der Alpsee Coaster. Ja, das ist eine Touristenattraktion par excellence. Eine Ganzjahresrodelbahn auf Schienen. Man könnte die Nase rümpfen über so viel künstlichen Spaß in der Natur. Aber wenn man ehrlich ist: Es macht einen Höllenspaß. Man wird den Berg hochgezogen, hat Zeit, den Kühen beim Grasen zuzuschauen, und dann brettert man in Kurven, die einem den Mageninhalt sortieren, wieder hinunter. Kinder lieben es, und Erwachsene tun so, als würden sie es nur den Kindern zuliebe machen, während sie heimlich den Bremshebel loslassen.
Kultur statt Kitsch
Immenstadt versucht gar nicht erst, sich hinter Jodel-Romantik zu verstecken. Die Stadt war schon immer ein Zentrum für Handel und Handwerk, und das prägt die Kultur. Es gibt das Literaturhaus Allgäu, das in einem wunderschönen alten Gebäude untergebracht ist. Hier geht es nicht um Heimatromane vom Tresen, sondern um ernsthafte Auseinandersetzung mit Wort und Schrift. Es finden Lesungen statt, die weit über regionale Grenzen hinaus Beachtung finden. Das ist dieser intellektuelle Unterton, den man in einer Kleinstadt am Alpenrand vielleicht nicht sofort vermutet.
Auch das Museum Hofmühle ist so ein Ort. Es ist kein verstaubtes Heimatmuseum mit drei alten Spinnrädern und einem rostigen Pflug. Es erzählt die Geschichte der Stadt modern und interaktiv. Man erfährt viel über die Leinwandherstellung, die Immenstadt einst reich gemacht hat, und über die Salzstraße, die hier durchführte. Salz war das weiße Gold, und Immenstadt war der Umschlagplatz. Wenn du durch die Ausstellung gehst, verstehst du plötzlich, warum die Häuser am Marienplatz so groß sind: Sie wurden auf dem Rücken von Händlern und Säumern erbaut.
Ein kulturelles Highlight der etwas anderen, lauteren Art ist der Viehscheid im September. In Immenstadt ist der Almabtrieb riesig. Wir reden hier nicht von drei Kühen mit Plastikblumen. Über 1.000 Tiere werden von den Alpen runter in die Stadt getrieben. Der Schellenklang ist ohrenbetäubend, eine Wand aus Lärm, die durch die Straßen walzt. Es riecht nach Tier, nach Mist, nach Schweiß und später im Festzelt massiv nach Bier und Hendl. Wenn du das "echte" Allgäu erleben willst, musst du dich in dieses Gedränge werfen. Aber pass auf deine Füße auf; so eine Kuh wiegt eine halbe Tonne und nimmt keine Rücksicht auf Sneakers.
Essen, Trinken und Schlafen
Kulinarisch bewegt sich Immenstadt zwischen Tradition und Moderne. Natürlich bekommst du deine Kässpatzen. Und in Immenstadt sind sie oft handgeschabt und mit so viel Bergkäse überzogen, dass man danach eigentlich einen Mittagsschlaf braucht. Ein guter Ort für bodenständige Küche sind die Gasthäuser direkt im Zentrum. Such dir eines, wo die Holzvertäfelung dunkel ist und die Bedienung einen Dialekt spricht, bei dem du dich konzentrieren musst. "Hock di her", heißt es da oft, und zack, sitzt du am Stammtisch.
Aber es gibt auch die andere Seite. Kleine Bistros, Italiener, die seit Generationen hier sind und fast schon zum Inventar gehören, und Eisdielen, die im Sommer Hochkonjunktur haben. Ein Geheimtipp ist der Wochenmarkt. Hier kaufen die Einheimischen ihren Bergkäse, ihren Honig und das Gemüse. Probier den Käse direkt am Stand. Er schmeckt anders als aus dem Supermarktregal – würziger, irgendwie nach Wiese und Kräutern. Ein Stück "Bergkäs" und ein frisches Brot, mehr brauchst du für eine Wanderpause eigentlich nicht.
Zum Übernachten bietet Immenstadt die ganze Palette. Es gibt die klassischen Hotels am See, wo man für den Seeblick extra zahlt (was es wert ist), aber auch Ferienwohnungen in der Stadt. Wer es rustikaler mag, mietet sich auf einem Bauernhof im Umland ein. Das ist besonders für Familien toll, weil die Kinder im Stall helfen können, während die Eltern die Ruhe genießen. Die Stadt ist auch ein perfektes Basislager. Da Immenstadt einen Bahnhof hat – was im Allgäu nicht selbstverständlich für jeden Touristenort ist –, kommst du schnell nach Oberstdorf, Lindau oder Kempten. Du bist mittendrin, ohne im absoluten Touristen-Hotspot zu ersticken.
Anreise
Der Bahnhof ist ein Knotenpunkt. Der "Alex" (Allgäu-Express) hält hier. Das macht die Stadt ideal für Leute, die ohne Auto unterwegs sind. Im Ort selbst kommt man gut zu Fuß klar, für die Ortsteile wie Bühl oder Diepolz gibt es Busse. Der Stadtbus, das "Bähnle", fährt im Sommer auch touristische Ziele an. Wenn du mit dem Auto kommst, stell dich auf Parkplatzsuche ein, besonders an schönen Wochenenden. Das Parksystem ist okay, aber die Stadt ist eng. Die B19 führt direkt vorbei, was die Anbindung super macht, aber man hört sie je nach Windrichtung auch mal.