Oberallgäu & Allgäuer Alpen

Unterwegs am Grünten: Der "Hausberg" der Oberallgäuer für Aussichtssüchtige

Er ist nicht der Höchste, aber er steht da wie eine Eins vor der eigentlichen Alpenkette und versperrt die Sicht – oder öffnet sie, je nachdem, wo man steht. Wer den Grünten besteigt, bekommt Geschichte in Beton, rostiges Eisen im Boden und einen unverschämt guten Weitblick serviert.

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Zwischenablage

Man kann ihn eigentlich nicht übersehen. Egal, ob du auf der A7 Richtung Süden bretterst oder dich durch die Landstraßen bei Kempten schlängelst, der Grünten drängt sich auf. Er steht etwas abseits der Allgäuer Hauptalpen, wie ein Türsteher, der kontrolliert, wer ins Gebirge darf. Deshalb nennen sie ihn hier den "Wächter des Allgäus". Mit 1.738 Metern ist er zwar kein alpiner Riese, aber seine prominente Lage macht ihn zum vielleicht bekanntesten Berg der Region. Er wirkt massig, breit und durch den gigantischen Sendemast auf dem Gipfel fast schon futuristisch, während ein paar Meter weiter das steinerne Jägerdenkmal an vergangene Kriege erinnert. Diese Mischung aus Technik, Historie und Natur ist eigenwillig.

Es ist kein Berg für die einsame Meditation. Wer Stille sucht, ist hier falsch, zumindest an Wochenenden. Aber der Grünten hat Charakter. Er ist schroff, windig und bietet ein 360-Grad-Kino, das im Allgäu seinesgleichen sucht.

Das Jägerdenkmal: Beton und Pathos auf dem Übelhorn

Der eigentliche Gipfel heißt Übelhorn. Ein Name, der an stürmischen Tagen durchaus Programm ist. Dort oben steht das Grüntendenkmal, das oft fälschlicherweise für eine Burgruine gehalten wird, wenn man es nur von unten aus dem Tal sieht. Es ist eine Rotunde aus Bruchsteinen, gebaut 1924. Gewidmet ist der Bau den gefallenen Gebirgsjägern des Ersten Weltkriegs, später wurde das Gedenken auf die Opfer des Zweiten Weltkriegs ausgeweitet. Wenn du davor stehst, wirkt das Ganze wuchtig, fast trutzig. Die offenen Arkadenbögen lassen den Wind durchpfeifen, was ein fast schon gespenstisches Geräusch erzeugen kann.

Man muss kein Militärhistoriker sein, um die Schwere dieses Ortes zu spüren. Es ist ein Denkmal einer anderen Zeit, pathetisch und massiv. Interessant ist der Kontrast zur direkten Umgebung: Während man durch die dunklen Bögen schaut, blickt man auf das friedliche, saftige Grün der Voralpenlandschaft, auf Spielzeug-Traktoren tief unten im Tal und die glitzernden Wasserflächen der Iller. Viele Wanderer nutzen die windgeschützten Ecken der Mauern für ihre Brotzeit, kauen auf ihrem Landjäger und schauen dabei auf die Namenstafeln. Das ist Allgäuer Pragmatismus. Leben und Tod liegen hier oben nur eine Stulle weit auseinander.

Der Sender: Die Nadel im Heuhaufen

Direkt neben der historischen Schwere ragt der rot-weiß gestreifte Sendemast des Bayerischen Rundfunks in den Himmel. Über 90 Meter hoch. Er sorgt dafür, dass die Menschen im Tal Radio hören und fernsehen können, dominiert aber auch die Silhouette des Berges komplett. Manche finden, er verschandelt die Natur. Andere meinen, er gehört mittlerweile einfach dazu wie der Gamsbart zum Trachtenhut. Technisch gesehen ist der Grünten ideal für so eine Anlage, weil er eben so isoliert steht und weit ins Flachland funken kann.

Steht man direkt unter dem Mast, hört man oft ein leises Surren. Im Winter fallen hier manchmal tellergroße Eisplatten von den Stahlstreben, weshalb Warnschilder durchaus ernst zu nehmen sind. Zusammen mit dem Denkmal bildet der Sender ein bizarres Duo: der eine für die Ewigkeit gebaut, der andere ein Zweckbau der modernen Kommunikation.

Wege nach oben: Teer, Schweiß und Wurzeln

Es gibt diverse Routen, um dem Wächter aufs Dach zu steigen. Die beliebteste – und anstrengendste – startet oft in Burgberg. Zuerst führt eine geteerte Straße steil nach oben. Wanderer hassen Asphalt. Es ist hart für die Gelenke, es ist langweilig, und die Sonne knallt hier oft unbarmherzig rein, weil der Südhang wenig Schatten bietet. Aber da muss man durch. Irgendwann, wenn die Waden schon "Merci" schreien, zweigt der Weg ab ins Gelände. Hier wird es interessanter. Wurzelige Pfade, grober Kalkstein und Stufen führen hinauf zum Grüntenhaus.

Eine Alternative bietet die Seite von Rettenberg über die Alpe Kammeregg. Hier ist es oft etwas weniger steil, aber nicht weniger schweißtreibend. Wer es ganz gemütlich will, nimmt den Sessellift – sofern er denn fährt. Die Situation der Grüntenlifte war in den letzten Jahren ein einziges juristisches und wirtschaftliches Tauziehen. Mal hieß es "Alles neu", dann wieder Stillstand. Verlass dich also lieber auf deine eigenen Beine. Der Berg belohnt die Mühe spätestens ab der Waldgrenze. Der Blick weitet sich, und plötzlich sieht man nicht mehr nur Bäume, sondern die Nagelfluhkette im Westen und die Hochalpen im Süden.

Die letzten Meter zum Gipfel sind oft rutschig. Der Fels hier ist poliert von Millionen Bergschuhen. Ein bisschen Trittsicherheit schadet nicht, auch wenn der Grünten technisch kein schwieriger Berg ist. Man sieht hier alles: vom topfiten Trailrunner, der in 45 Minuten hochrennt, bis zum Rentnerpaar mit Dackelmischling, das gemütliche drei Stunden braucht. Oben treffen sich alle am windigen Plateau.

Der Bauch des Berges: Erzgruben und Geschichte

Der Grünten ist nicht nur ein Aussichtsberg, er ist ein Schweizer Käse. Durchlöchert von alten Stollen. Jahrhundertelang wurde hier Eisenerz abgebaut. Das "Grünten-Eisen" war wichtig für die Region, hat den Menschen Arbeit und bescheidenen Wohlstand gebracht, bevor es sich nicht mehr rentierte. In der "Erzgruben-Erlebniswelt" bei Burgberg kann man sich das ansehen, wenn man keine Lust auf Gipfelsturm hat. Es riecht dort nach feuchter Erde und Metall.

Geologisch ist der Berg ohnehin spannend. Er besteht aus verschiedenen Gesteinsschichten, die sich aufgefaltet haben. Wer genau hinschaut, findet am Wegesrand oft Steine mit seltsamen Einschlüssen. Versteinerungen sind keine Seltenheit. Es lohnt sich also, beim Keuchen auch mal auf den Boden zu gucken und nicht nur sehnsüchtig zum Gipfelkreuz.

Einkehrschwung: Wo das Bier zu Hause ist

Apropos Rettenberg: Das Dorf am Fuße des Grünten nennt sich selbstbewusst "Brauereidorf". Zötler und Engelbräu haben hier ihren Sitz. Ein Bier nach der Tour ist hier quasi Pflichtprogramm und kulturelle Aneignung zugleich. Nichts schmeckt besser als ein frisches Helles oder ein Radler, wenn man die 600 oder 700 Höhenmeter wieder runtergestolpert ist. Die Gastronomie am Berg selbst ist rustikal. Das "Grüntenhaus" ist kein Wellness-Hotel, sondern eine Institution. Es war das erste Hotel in den Allgäuer Alpen überhaupt, gebaut Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Boden knarrt, es riecht nach Suppe und altem Holz. Wer hier übernachtet, erlebt Sonnenaufgänge, für die Instagram erfunden wurde.

Ein kleiner Tipp am Rande: Auf den Alpen (so heißen hier die Almhütten) gibt es oft phänomenalen Käse. Wenn eine "Brotzeitplatte" auf der Karte steht, bestell sie. Das Brot ist meistens dunkel, krustig und der Käse so würzig, dass er fast auf der Zunge bizzelt. Das ist ehrliches Essen für ehrliche Arbeit.

Panorama und Lichtspiele

Warum also raufgehen? Wegen der Aussicht. Punkt. Da der Grünten so exponiert steht, sieht man an klaren Tagen (Föhnwetterlage!) unfassbar weit. Im Norden breitet sich das Unterland aus wie ein Flickenteppich, im Süden baut sich die Mauer der Allgäuer Hochalpen auf. Trettachspitze, Mädelegabel, Hochvogel – die Prominenz ist versammelt. Man kann stundenlang dastehen und Gipfelraten spielen.

Besonders magisch, wenn auch klischeehaft, sind die Randzeiten des Tages. Wenn die Sonne hinter der Nagelfluhkette versinkt und das Licht das Gras am Grünten in ein sattes Gold taucht, versteht man, warum die Einheimischen ihren Wächter lieben. Dann wird es auch ruhiger. Die Tagestouristen sind weg, die Dohlen segeln im Aufwind und machen ihre klickenden Geräusche, und für einen Moment gehört der Berg dir fast allein. Aber nur fast. Denn irgendein anderer Verrückter mit Stirnlampe kommt immer noch hoch.

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