Ostallgäu & Königswinkel

Schloss Hohenschwangau: Warum Neuschwansteins Nachbar der eigentliche Star ist

Vergiss für einen Moment das weiße Märchenschloss auf dem Hügel gegenüber. Hier unten, wo die Mauern gelb leuchten, lebte eine Familie tatsächlich, stritt sich und frühstückte mit Blick auf die Alpen. Hohenschwangau ist kein bloßes Bühnenbild, sondern das echte, warme Herz der königlichen Romantik.

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Zwischenablage

Es ist fast ein wenig tragisch. Da steht man als Schloss Hohenschwangau stolz und leuchtend gelb im Wald, hat Zinnen, Türme und eine Geschichte, die weit länger zurückreicht als die des berühmten Nachbarn, und doch drehen sich die meisten Köpfe sofort nach oben zu Neuschwanstein. Dabei ist Hohenschwangau das eigentliche Schlüsselerlebnis, um den ganzen Hype um die bayerischen Könige überhaupt zu verstehen. Wer Neuschwanstein sehen will, bekommt eine Inszenierung; wer Hohenschwangau besucht, bekommt ein Zuhause zu sehen. Man könnte fast sagen, es ist die bodenständige, aber keineswegs bescheidene Basisstation des bayerischen Königsmärchens.

Das Schloss liegt nicht ganz so dramatisch in den Wolken, sondern thront, man möchte sagen, gemütlich auf einem bewaldeten Hügelrücken zwischen dem Alpsee und dem Schwansee. Es wirkt nahbarer. Hier muss man nicht erst eine alpine Expedition starten oder stundenlang auf Busse warten, der Anstieg ist in zwanzig Minuten erledigt, wenn man gut zu Fuß ist. Und oben angekommen, atmet der Ort eine Ruhe, die drüben beim „Kini“ oft im Blitzlichtgewitter der Touristenmassen untergeht. Vielleicht liegt es an der warmen Farbe der Fassade oder an den gepflegten Gärten, aber Hohenschwangau empfängt einen weniger als Monument, sondern eher als Landsitz, in den man am liebsten sofort einziehen würde.

Aus einer Ruine wird ein Sommertraum

Lange bevor Ludwig II. seine opernhaften Visionen in Stein meißeln ließ, war sein Vater am Zug. Maximilian II., damals noch Kronprinz, stolperte 1832 quasi über die Überreste der Burg Schwanstein. Was er vorfand, war ein Trümmerhaufen, eine mittelalterliche Ruine, die ihre besten Tage längst hinter sich hatte und eigentlich nur noch gut war, um romantischen Dichtern als Kulisse für weltschmerzige Verse zu dienen. Aber Max, ganz Kind seiner Zeit und der Romantik verfallen, sah Potenzial. Er kaufte den Steinhaufen für, man höre und staune, 7.000 Gulden. Ein Schnäppchen, selbst für damalige Verhältnisse.

Interessant ist hierbei die Wahl des Architekten. Max engagierte keinen steifen Bauingenieur, sondern Domenico Quaglio. Der Mann war eigentlich Theatermaler. Und genau das merkt man dem Bau an. Quaglio plante keine Festung zur Verteidigung, sondern eine Kulisse zum Leben. Er entwarf ein neugotisches Traumschloss, das mittelalterliche Architektur idealisierte, dabei aber auf modernen Wohnkomfort nicht verzichtete. Innerhalb von nur fünf Jahren, von 1832 bis 1837, zog er das Hauptgebäude hoch. Das ging fix. Wenn man bedenkt, wie lange heutige Bauprojekte dauern, war das eine reife Leistung, zumal Quaglio sich so sehr in die Arbeit reinkniete, dass er kurz vor der Fertigstellung am Bauplatz zusammenbrach und starb. Er hat sein Werk buchstäblich mit dem Leben bezahlt.

Ein Rundgang durch das königliche Wohnzimmer

Drinnen geht es nicht ganz so pompös zu wie in Versailles, und das ist auch gut so. Es ist "gmütlich", würde der Bayer sagen, wenn auch auf einem Niveau, das für Normalsterbliche unerreichbar bleibt. Man spürt sofort: Hier wurde gelebt. Die Wände sind nicht einfach weiß oder mit Gold überladen, sondern erzählen Geschichten. Maximilian ließ über 90 Wandgemälde anfertigen, die meisten davon thematisieren die deutsche Sagenwelt und die Geschichte der Wittelsbacher.

Der Heldensaal ist so ein Raum, der einen kurz den Atem anhalten lässt. Er nimmt die gesamte Breite des Schlosses ein und sollte eigentlich an die Tafelrunde erinnern. Die Fresken zeigen die Wilkina-Sage, eine Art Vorläufer der Nibelungen, mit Riesen, Zwergen und Helden. Wenn man hier steht, kann man sich gut vorstellen, wie die königliche Familie an langen Tafeln saß, während draußen der Schnee auf die Tannen rieselte. Der Boden knarrt hier und da, und es riecht, wenn man eine feine Nase hat, nach altem Wachs und jahrhundertealtem Holz.

Besonders spannend wird es im Orientzimmer. Königin Marie, eine geborene Prinzessin von Preußen, hatte einen Faible für das Exotische, wie es im 19. Jahrhundert Mode war. Das Zimmer war ihr Schlafbereich und ist im türkischen Stil eingerichtet. Diwane, warme Farben, orientalische Muster – ein krasser Bruch zur deutschen Sagenwelt im Rest des Schlosses, aber genau das macht den Reiz aus. Es zeigt, dass auch Könige dem Fernweh erlegen waren. Marie war übrigens eine begeisterte Bergsteigerin, was damals für eine Dame ihres Standes als ziemlich exzentrisch galt. Sie "haxelte" die Berge rauf, während andere Damen Tee tranken.

Ludwigs Kinderstube und das Fernrohr

Für Ludwig-Fans ist Hohenschwangau Pflichtprogramm, denn hier wurde der Mythos geboren. Ludwig und sein Bruder Otto verbrachten einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend in diesen Mauern. Man muss sich das vorstellen: Ein sensibler Junge wächst auf, umgeben von Bildern, die Lohengrin, den Schwanenritter, und andere Sagenhelden zeigen. Kein Wunder, dass die Realität für ihn später nie genug war. Er wurde buchstäblich in einer Märchenwelt großgezogen.

Im Tasso-Zimmer, dem Schlafzimmer der Könige, wird die Verbindung fast greifbar. Der Raum ist nach dem italienischen Dichter Torquato Tasso benannt, aber das Highlight ist die Decke. Max ließ sie als Sternenhimmel gestalten, der sogar von hinten beleuchtet werden konnte. Ein frühes Planetarium im eigenen Schlafzimmer. Ludwig liebte diesen Raum. Und hier findet sich auch jenes berühmte Detail, das in keiner Führung fehlen darf: Ein Fernrohr steht im Erker. Später, als Ludwig schon König war und drüben auf dem zerklüfteten Felsen sein "Neues Schloss" (heute Neuschwanstein) bauen ließ, beobachtete er von hier aus den Baufortschritt. Man kann sich den einsamen Monarchen bildhaft vorstellen, wie er nachts durch die Linse späht und prüft, ob seine Träume Gestalt annehmen. Er überwachte seine eigene Fantasie aus der Distanz seines Elternhauses.

Der Garten und die Umgebung

Verlasst das Schloss nicht, ohne eine Runde durch den Garten zu drehen. Die Anlage ist im Biedermeier-Stil gehalten, also ziemlich ordentlich und geometrisch, aber durch die Lage am Hang wirkt sie trotzdem natürlich. Der Löwenbrunnen ist ein beliebtes Fotomotiv – eine Kopie der Löwen aus der Alhambra in Granada. Auch hier wieder: Die Sehnsucht nach dem Süden mitten im rauen Allgäu.

Vom Garten aus hat man einen Blick auf den Alpsee, der seinesgleichen sucht. Das Wasser ist oft fast unnatürlich türkis oder tiefblau, je nach Wetter. Es ist einer der kältesten und saubersten Seen in Bayern. Die Könige gingen hier baden, und im Winter wurde auf dem zugefrorenen See Eisstock geschossen. Ein kleiner Tipp am Rande: Wenn ihr Zeit habt, leiht euch unten am Ufer ein Ruderboot. Vom Wasser aus wirkt Hohenschwangau noch einmal ganz anders, fast wie eine Spielzeugburg, die jemand in den Wald gesetzt hat.

Praktische Tipps für den Besuch

Jetzt mal Butter bei die Fische. Ein Besuch in Hohenschwangau braucht Strategie. Wer einfach so hinfährt und denkt, er bekommt spontan ein Ticket, wird sein blaues Wunder erleben – oder stundenlang in der Schlange stehen. Das Ticket Center unten im Ort ist im Sommer ein Hexenkessel. Es wimmelt von Menschen aus aller Herren Länder, Reisebussen und Souvenirjägern. Daher gilt: Unbedingt vorher online reservieren. Das kostet zwar eine kleine Gebühr extra, rettet aber den Tag und die Nerven.

Man kann Tickets nur für Hohenschwangau kaufen oder ein "Königsticket" für beide Schlösser. Wenn ihr beide machen wollt: Plant genug Puffer ein. Zwischen den Schlössern liegt ein Fußweg von gut 45 Minuten (wenn man schnell ist) und man muss pünktlich zur Führung da sein. Die warten nicht. Wirklich nicht. Deutsche Pünktlichkeit wird hier gnadenlos exekutiert.

Für den Weg nach oben gibt es drei Optionen:

  • Die Pferdekutsche: Romantisch, riecht aber halt nach Pferd und man sitzt eng auf eng mit Fremden. Kostet extra.
  • Der Bus: Fährt nicht direkt bis vor die Tür von Hohenschwangau, sondern eher Richtung Marienbrücke/Neuschwanstein, hilft also für Hohenschwangau nur bedingt.
  • Die eigenen Füße: Definitiv die beste Wahl. Der Weg ist nicht so steil wie zu Neuschwanstein und führt schön durch den Wald. Man kommt dabei an der alten Schlossküche vorbei und kann schon mal erste Blicke auf die Fassade erhaschen.

Wann ist die beste Zeit?

Jeder Reiseführer sagt "komm früh", und sie haben recht. Aber es gibt noch einen anderen Trick: Komm im Spätherbst oder Winter. Wenn der erste Schnee liegt, das Gelb der Mauern gegen das Weiß der Landschaft knallt und der Alpsee dunkel und still daliegt, dann hat der Ort eine Melancholie, die Ludwig gefallen hätte. Außerdem sind die Schlangen am Ticket Center dann deutlich kürzer. Im Hochsommer schieben sich die Massen durch die Gänge, da bleibt kaum Zeit, die Details der Fresken wirklich zu studieren, weil die Gruppe schon weiterschieben muss.

Lohnt sich das Museum der bayerischen Könige?

Unten am See, im ehemaligen Grandhotel Alpenrose, befindet sich das Museum der bayerischen Könige. Viele lassen das links liegen, weil die Füße schon wehtun. Fehler. Das Museum ist modern, didaktisch top aufbereitet und schließt viele Wissenslücken. Wer sich fragt, wer eigentlich wer im Wittelsbacher-Stammbaum ist und warum die Bayern ihre Könige immer noch so verehren, bekommt hier Antworten. Der "Walk of Fame" der Wittelsbacher ist super gemacht. Außerdem ist das Gebäude selbst, mit seinem Wintergarten und dem Blick auf den See, einen Besuch wert. Es ist der ideale Ort, um nach der Führung runterzukommen und die ganzen Eindrücke zu sortieren.

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