Unterallgäu & Wellnessregion

Ottobeuren: Das Dorf unter der Basilika – und was es drumherum zu sehen gibt

In Ottobeuren steht ein Kasten, der so unverschämt prunkvoll in die Landschaft gepflanzt wurde, dass man sich fragt, ob der Vatikan hier eine geheime Zweigstelle betreibt.

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Zwischenablage

Man fährt durch das Unterallgäu. Hügel rauf, Hügel runter. Kühe, die so aussehen, als hätten sie gerade eine Wellnessbehandlung hinter sich, Wiesen in einem Grün, das fast schon in den Augen wehtut. Alles sehr nett, alles sehr bodenständig. Und dann biegt man um die letzte Kurve in das Tal der Westlichen Günz und plötzlich steht da dieses Ding. Die Basilika St. Alexander und Theodor. Es ist nicht einfach nur eine Kirche. Es ist eine Machtdemonstration aus Stein, Putz und Gold. Wenn man ehrlich ist, wirkt das Bauwerk in diesem kleinen Marktflecken mit seinen knapp 8.000 Einwohnern völlig deplatziert. Wie ein riesiges Raumschiff aus dem 18. Jahrhundert, das beschlossen hat, genau hier zu landen und nie wieder wegzufliegen.

Der erste Eindruck trügt nicht. Die Dimensionen sind absurd. Das Klostergebäude selbst gilt als eine der größten barocken Klosteranlagen der Welt. Deshalb auch der Beiname "Schwäbischer Escorial". Wobei der echte Escorial in Spanien düster und streng ist, während Ottobeuren in Pastellfarben und Weiß leuchtet, als gäbe es kein Morgen. Man steht auf dem Marktplatz, schaut nach oben zu den Zwiebeltürmen und fühlt sich automatisch ganz klein. Das war vermutlich auch der Plan der Benediktinermönche damals. Demut lehren durch architektonische Überwältigung.

Innenraum-Check: Reizüberflutung garantiert

Wer durch das Hauptportal geht, sollte vorher tief Luft holen. Der Innenraum der Basilika ist nichts für Minimalisten. Hier gibt es keine leere Wand, keinen unbemalten Fleck. Alles quillt über vor Stuck, Fresken und Putten. Tausende von kleinen, pausbäckigen Engeln hängen an den Säulen, sitzen auf Gesimsen oder lümmeln auf Orgelpfeifen herum. Man könnte versuchen, sie zu zählen, aber das lässt man besser bleiben, wenn man nicht verrückt werden will. Johann Michael Fischer, der Architekt, und seine Handwerker-Truppe haben hier zwischen 1737 und 1766 ganze Arbeit geleistet.

Es ist fast schon zu viel des Guten. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Ein Highlight, das man nicht verpassen darf, auch wenn man kein Kirchenmusik-Nerd ist, sind die Orgeln. Karl Joseph Riepp, ein Orgelbauer von Weltruf, hat hier sein Meisterstück abgeliefert. Die beiden Chororgeln sind so in den Raum integriert, dass sie fast wie Möbelstücke wirken. Zusammen mit der Marienorgel bilden sie die "Heilige Dreifaltigkeit" der Orgelbaukunst. Wenn hier ein Konzert stattfindet und alle Register gezogen werden, wackeln wahrscheinlich im Nachbardorf noch die Teetassen im Schrank. Der Klang ist körperlich spürbar. Das Holz vibriert, der Boden unter den Füßen summt mit.

Hinter den Kulissen: Wo der Abt residiert

Kirchenschiff gucken kostet nichts, aber wer den echten "Escorial-Effekt" will, muss ein Ticket für das Klostermuseum lösen. Der Weg führt durch Gänge, die so lang sind, dass man fast Proviant bräuchte. Man latscht über knarzende Dielenböden, vorbei an Ahnengalerien von Äbten, die alle so dreinschauen, als hätten sie gerade eine schlechte Nachricht erhalten oder zu viel Sauerkraut gegessen.

Der Kaisersaal ist dann der Moment, wo einem endgültig die Kinnlade runterklappt. Deckenfresken, die den Himmel aufreißen, Stuckmarmor in Farben, die man in keinem Baumarkt findet. Hier sollten Kaiser und Könige empfangen werden. Man fragt sich unweigerlich, wie oft tatsächlich ein Kaiser hier vorbeigeschaut hat, um den Aufwand zu rechtfertigen. Aber im Barock ging es ja mehr um das "Könnte" als um das "Ist". Repräsentation war alles. Die Bibliothek ist ähnlich spektakulär. Alte Bücher riechen ja per se schon gut, aber in dieser Umgebung wirken sie wie heilige Reliquien. Die Deckenmalereien von Elias Zobel sind so detailliert, dass man fast ein Fernglas bräuchte, um jeden Pinselstrich zu würdigen.

Das Dorf: Leben unter der Glocke

Jetzt mal raus aus dem Weihrauchnebel. Was macht eigentlich der Ort Ottobeuren selbst? Er duckt sich. Das ist zumindest der erste Eindruck. Die Häuser rund um den Marktplatz sind hübsch, schwäbisch gepflegt, Geranien an den Balkonen, alles picobello sauber. Aber gegen die Baumasse des Klosters kommen sie nicht an. Das Leben hier arrangiert sich mit dem Giganten. Man sitzt im Café am Marktplatz, trinkt seinen Cappuccino oder ein lokales Bier und hat immer diese Kulisse im Nacken.

Es ist ruhig hier. Wer Party sucht, ist in Ottobeuren falsch. Wer Entschleunigung sucht, aber das Wort "Achtsamkeit" nicht mehr hören kann, ist hier genau richtig. Die Einheimischen sind freundlich, aber unaufgeregt. Man grüßt sich mit einem "Grüß Gott", das nicht aufgesetzt wirkt, sondern einfach der Standard ist. Wenn du Glück hast, hörst du am Nebentisch im Wirtshaus den echten Allgäuer Dialekt. Das klingt für ungeübte Ohren manchmal etwas ruppig, ist aber meistens herzlich gemeint. Ein "Passt scho" ist hier das höchste Lob.

Kultur-Kontrast: Der schwarze Würfel

Wenn man glaubt, Ottobeuren kann nur Barock, liegt man falsch. Ein paar Schritte vom Kloster entfernt steht ein Gebäude, das so gar nicht ins Bild passen will und genau deshalb so gut funktioniert. Das Museum für zeitgenössische Kunst – Diether Kunerth. Ein schlichter Kubus. Modern. Klar. Keine Schnörkel, keine Engel. Drinnen hängen die Werke des Künstlers Diether Kunerth, der hier lebt. Seine Kunst ist oft abstrakt, farbgewaltig, aber auf eine ganz andere Weise als drüben in der Kirche.

Es ist fast wie eine visuelle Reinigung. Nachdem man drüben von Gold und Stuck fast erschlagen wurde, können die Augen hier in den klaren Räumen und vor den modernen Formen wieder zur Ruhe kommen. Es lohnt sich, diesen Kontrast bewusst zu suchen. Erst die volle Dröhnung Barock, dann die kühle Ästhetik der Moderne. Das rückt den Kopf wieder gerade.

Nasse Füße und Gesundheit: Der Kneipp-Faktor

Sebastian Kneipp, der berühmte Wasserdoktor, ist hier in der Gegend allgegenwärtig. Geboren ist er im Weiler Stephansried, nur ein paar Kilometer entfernt, aber in der Basilika von Ottobeuren wurde er getauft. Deshalb darf sich Ottobeuren auch Kneipp-Kurort nennen. Das klingt erstmal nach Seniorenresidenz und Stützstrümpfen, ist aber eigentlich eine ziemlich coole Sache, wenn man sich drauf einlässt.

Im Kneipp-Aktiv-Park kann man das Wassertreten ausprobieren. Schuhe aus, Socken weg und rein ins kalte Becken. Im Storchengang. Immer ein Bein komplett aus dem Wasser heben. Das sieht für Außenstehende bescheuert aus, fühlt sich aber nach den ersten zehn Sekunden Schockstarre verdammt gut an. Besonders wenn man vorher stundenlang durch das Kloster gelatscht ist. Die Beine prickeln, die Durchblutung kommt in Gang. Das ist der Espresso für die Füße. Es gibt dort auch einen Barfußpfad und diverse andere Stationen. Kostet nichts, bringt viel. Einfach machen, nicht drüber nachdenken, wer guckt.

Raus ins Grüne: Bannwald und Buschelkapelle

Wer genug von Steinen und Wasser hat, sollte in den Bannwald gehen. Das ist der Wald, der direkt an den Ort grenzt. Hier kann man spazieren gehen, ohne dass es gleich in Bergsteigen ausartet. Das Unterallgäu ist hügelig, aber keine alpine Zone. Es ist eher eine sanfte Landschaft, die einen nicht überfordert.

Ein kleiner Geheimtipp ist der Weg zur Buschelkapelle. Die Kapelle selbst ist nett, aber der eigentliche Grund für den Aufstieg ist der Ausblick. Von hier oben sieht man erst, wie riesig das Kloster wirklich ist. Es liegt da unten im Tal wie ein gestrandeter Wal. Man sieht die roten Dächer des Ortes, die grünen Hügel drumherum und bei Föhn – diesem Wetterphänomen, das Kopfschmerzen macht aber für klare Sicht sorgt – sieht man im Süden die Alpenkette leuchten. Dann versteht man auch, warum es die Menschen hier aushalten. Es ist diese Mischung aus weiter Landschaft und kultureller Wucht.

Essen und Trinken: Kässpätzle als Religion

Hunger kriegt man vom Schauen und Laufen garantiert. Die Gastronomie in Ottobeuren ist, wenig überraschend, schwäbisch-bayerisch geprägt. Man sollte keine Molekularküche erwarten. Hier kommt auf den Tisch, was satt macht. Kässpätzle sind Pflicht. Aber Vorsicht: Echte Allgäuer Kässpätzle haben nichts mit den trockenen Nudeln zu tun, die man anderswo bekommt. Hier wird Bergkäse verwendet, der Fäden zieht, bis der Arzt kommt, und oben drauf gehören Röstzwiebeln, die im Fett schwimmen.

Das Brauerei Hotel Hirsch direkt am Marktplatz ist so eine Institution. Da sitzt man in der holzgetäfelten Stube und isst Zwiebelrostbraten. Oder man geht in eines der Cafés und probiert die "Ottobeurer Klosterbollen" (wenn es sie gerade gibt) oder einfach einen guten Zwetschgendatschi. Die Preise sind meistens noch in Ordnung, kein Vergleich zu München oder den Touri-Hotspots direkt an den Alpen. Man merkt, dass hier auch noch normale Leute essen gehen und nicht nur Reisebusgruppen.

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