Ostallgäu & Königswinkel

Eine Schifffahrt auf dem Forggensee: Königliche Aussichten, ganz ohne Latschen

Deutschlands flächenmäßig größter Stausee bietet die wohl entspannteste Perspektive auf Schloss Neuschwanstein, aber nur im Sommer. Wer hier an Bord geht, tauscht das Gedränge an Land gegen türkisfarbenes Wasser und eine frische Brise auf dem Sonnendeck. Doch Vorsicht: Im Winter verschwindet dieses Gewässer fast spurlos.

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Zwischenablage

Es ist schon ein kurioses Phänomen mit dem Forggensee. Wer im Winter nach Füssen reist, blickt oft irritiert auf eine karge Mondlandschaft aus Schlamm, Kies und alten Baumstümpfen, wo eigentlich Wasser sein sollte. Das liegt daran, dass der Forggensee kein natürlicher Voralpensee ist, sondern eine gigantische, vom Menschen gemachte Talsperre. Der Lech, dieser ungestüme Fluss aus den Alpen, wird hier seit den 1950er Jahren am Kraftwerk Roßhaupten aufgestaut. Das prägt den Charakter der Schifffahrt ganz entscheidend. Die Saison ist kurz, knackig und diktiert vom Wasserstand. Los geht es in der Regel erst Anfang Juni, wenn der See seinen Vollstau erreicht hat, und Mitte Oktober ist der Spaß oft schon wieder vorbei. Das Zeitfenster ist also knapp. Wer aber genau in diesen Wochen an Bord der MS „Allgäu“ oder der MS „Füssen“ geht, erlebt das Allgäu von einer Seite, die dem normalen Wanderer verborgen bleibt. Das Wasser hat eine Farbe, die man fast für künstlich halten könnte – ein milchiges, sattes Türkis, verursacht durch die Gesteinsmehle, die der Lech aus den Bergen mitbringt. Einheimische nennen das „Gletschermilch“, auch wenn echte Gletscher im Einzugsgebiet mittlerweile rar geworden sind.

Die Flotte: Dieselgeruch und Panoramablick

Am Bootshafen in Füssen herrscht an schönen Tagen ein ziemliches Gewusel. Reisebusse spucken Tagestouristen aus, Radfahrer versuchen ihre Drahtesel zu sortieren, und dazwischen rufen Eltern nach ihren Kindern. Sobald Du aber die Gangway betrittst und das Schiff ablegt, fällt der Lärmpegel der Stadt ab. Die Städtische Forggensee-Schifffahrt betreibt hier zwei Hauptakteure. Da ist zum einen die MS „Füssen“, das Flaggschiff. Sie ist der dicke Brummer auf dem See, zweistöckig, mit viel Platz für Kaffee und Kuchen im Inneren und einem weitläufigen Sonnendeck oben. Etwas kleiner und wendiger kommt die MS „Allgäu“ daher. Technisch gesehen sind beide keine Hochsee-Yachten, sondern solide bayerische Fahrgastschiffe. Man riecht beim Ablegen manchmal diesen typischen Mix aus Dieselabgasen und Seeklima, der bei vielen sofort Urlaubsgefühle auslöst. Die Motoren brummen tief und stetig, ein Geräusch, das seltsam beruhigend wirkt, während die Uferlinie langsam zurückbleibt. Es empfiehlt sich, nicht sofort den erstbesten Platz im Salon zu nehmen. Wer kann, geht nach oben oder ganz nach hinten ins Freie. Der Wind kann hier draußen frisch sein, selbst im Hochsommer, wenn die Sonne auf das Vordeck knallt. Eine leichte Jacke im Rucksack ist also kein Fehler, den man bereuen würde.

Die große Runde: Mehr als nur Schlösser gucken

Die meisten Besucher kommen wegen des Postkartenmotivs. Und ja, der Blick auf die Königsschlösser ist von hier aus spektakulär. Wenn das Schiff den Füssener Hafen verlässt und Richtung Süden dreht, bauen sich Neuschwanstein und Hohenschwangau vor der Kulisse der Ammergauer Alpen auf wie in einem Märchenbuch. Vom Wasser aus wirken die Bauten fast unwirklich, wie Spielzeugburgen, die jemand in den Wald gesetzt hat. Der massive Säuling thront daneben wie ein Wächter. Hier klicken die Kameras im Sekundentakt. Doch die Schifffahrt hat mehr zu bieten als diesen einen „Money Shot“. Die große Rundfahrt dauert gut zwei Stunden und führt bis ganz in den Norden zur Staumauer bei Roßhaupten. Spannend ist dabei, wie sich die Landschaft verändert. Der südliche Teil bei Füssen ist alpin, steil und touristisch erschlossen. Je weiter das Schiff nach Norden tuckert, desto flacher und sanfter werden die Uferhügel. Das Grün der Wiesen wird intensiver, die Bebauung spärlicher. Es ist der Übergang vom Hochgebirge ins wellige Voralpenland.

Interessant ist ein Detail, das vielen Passagieren entgeht: Wenn Du über die Reling schaust, fährst Du über Geschichte hinweg. Für den Stausee mussten damals ganze Weiler weichen. Die Überreste von Deutenhausen und Forggen liegen tief unter dem Kiel. Nur im Winter, wenn das Wasser abgelassen wird, tauchen die Grundmauern der alten Höfe wieder auf, und man kann trockenen Fußes dort spazieren gehen, wo jetzt gerade die Fische schwimmen. Einheimische erzählen sich manchmal noch Geschichten von den Zwangsumsiedlungen damals, die nicht ganz ohne Groll abliefen. Heute ist der See jedoch so sehr Teil der Landschaft, dass man sich das Tal ohne das Wasser kaum noch vorstellen kann.

Haltestellen und Hop-on-Hop-off

Die Schiffe fahren nicht einfach nur im Kreis. Sie funktionieren wie ein schwimmender Bus. Es gibt mehrere Haltestellen: Waltenhofen, Brunnen, Osterreinen, Dietringen, Tiefental und Roßhaupten. Du kannst die Fahrt unterbrechen, ein Stück wandern und später wieder zusteigen. Das System ist flexibel, erfordert aber einen Blick auf den Fahrplan, denn so dicht getaktet wie eine U-Bahn fahren die Dampfer natürlich nicht. Ein Ausstieg lohnt sich zum Beispiel in Dietringen. Hier ist das Ufer flacher, zugänglicher. Es gibt Liegewiesen, die weniger überlaufen sind als die Strandbäder direkt in Füssen. Oder man fährt bis zur Staumauer in Roßhaupten. Das Bauwerk selbst ist ein gewaltiger Riegel aus Beton und Erde. Wer sich für Technik begeistert, sieht hier, wie die Wasserkraft des Lechs gebändigt wird. Der Kontrast ist enorm: Auf der einen Seite die ruhige, weite Wasserfläche des Sees, auf der anderen Seite stürzt der Fluss durch die Turbinen wieder in sein altes Bett. Hier am Nordende spürt man auch oft, wie der Wind zunimmt. Der Forggensee ist bei Seglern durchaus berüchtigt für seine thermischen Winde, die am Nachmittag plötzlich aufdrehen können.

Kulinarik an Bord: Wurstsalat statt Sterne-Küche

Man sollte an Bord keine kulinarischen Offenbarungen erwarten, aber das muss auch gar nicht sein. Die Gastronomie auf den Schiffen ist bodenständig. Es gibt Kaffee in Kännchen, Blechkuchen, der meistens ziemlich gut schmeckt, und herzhafte Klassiker. Ein Wurstsalat oder ein Paar Wiener Würstchen schmecken auf dem Wasser irgendwie immer besser als an Land. Vielleicht liegt es an der Luft. Die Bedienungen sind meist flink und haben diesen typischen, etwas herben bayerischen Charme, bei dem man nie ganz sicher ist, ob man gerade freundlich bedient oder liebevoll zurechtgewiesen wird. Die Preise sind für einen touristischen Hotspot in Ordnung, aber auch keine Schnäppchen. Wer sparen will, packt sich seine eigene Brotzeit ein, sollte die aber diskret an Deck verzehren und nicht unbedingt an den Tischen im Salon ausbreiten.

Der Faktor Ruhe

Was diese Schifffahrt von anderen Attraktionen rund um Füssen unterscheidet, ist die Entschleunigung. Unten am Schlossberg schieben sich Tausende Menschen den Weg hinauf zur Marienbrücke. Es ist laut, eng und oft stressig. Auf dem See herrscht eine ganz andere Dynamik. Sobald das Schiff Fahrt aufnimmt, fallen die Sorgen ab. Das Wasser plätschert gegen den Rumpf, die Landschaft zieht wie ein langsamer Film vorbei. Man hat Zeit, die Details zu betrachten: ein Segelboot, das hart am Wind kreuzt, ein Haubentaucher, der plötzlich abtaucht, oder die wechselnden Wolkenformationen über dem Tannheimer Tal. Selbst wenn das Schiff voll besetzt ist, verläuft sich die Menge auf den Decks ganz gut. Es gibt immer eine Ecke, wo man in Ruhe auf das Wasser starren kann.

Praktische Tipps für die Planung

Parken ist in Füssen so eine Sache. Am Bootshafen gibt es Parkplätze, die sind aber an schönen Sommertagen oft schon vormittags voll. Es lohnt sich, entweder sehr früh zu kommen oder das Auto etwas weiter weg abzustellen und die letzten Meter zu laufen. Tickets kauft man am besten direkt am Kiosk am Hafen. Online-Reservierungen sind möglich und in der Hochsaison für größere Gruppen auch ratsam, aber als Einzelreisender oder Paar kommt man fast immer noch mit. Wichtig zu wissen: Hunde dürfen mit, kosten aber meist einen kleinen Aufpreis. Fahrräder werden auch transportiert, allerdings ist der Platz begrenzt. Wenn fünfzig Radler gleichzeitig mitwollen, wird es eng. Wer eine Radtour um den See plant (ca. 30 Kilometer) und eine Strecke abkürzen will, sollte das einkalkulieren.

Licht und Schatten

Natürlich ist nicht alles perfekt. An trüben Tagen wirkt der See manchmal etwas abweisend, fast düster. Die grauen Wolken spiegeln sich im Wasser, und die Berge verschwinden im Dunst. Dann drängen sich alle Passagiere im Innenraum, die Luft wird stickig und der Geräuschpegel steigt enorm an. Die Magie des Forggensees entfaltet sich primär bei gutem Wetter, oder zumindest, wenn die Sicht klar ist. Ein besonderes Highlight sind die Abendfahrten. Es gibt spezielle Termine, oft mit Musik – mal Jazz, mal bayerische Blasmusik. Wenn die Sonne hinter den Bergen versinkt und die Schlösser golden angeleuchtet werden, ist das Kitsch pur, aber schöner Kitsch. Man ertappt sich dabei, wie man seufzt und denkt: Ja mei, schee is scho.

Zum Schluss noch ein kleiner Hinweis für die Fotografen unter euch. Die beste Zeit für Fotos der Königsschlösser vom Schiff aus ist der späte Nachmittag. Dann steht die Sonne im Westen und beleuchtet die Front der Schlösser, während der dunkle Wald und die Berge im Hintergrund für Kontrast sorgen. Vormittags hat man oft Gegenlicht, was zwar stimmungsvoll sein kann, aber die Details der Architektur verschluckt.

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