Bad Wörishofen ist kein Party-Hotspot. Wer Techno sucht, ist hier falsch. Aber wer runterkommen will, wirklich runterkommen, der findet hier Bedingungen, die man anderswo teuer als "Digital Detox" bezahlen muss. Die Natur heilt hier tatsächlich, oder zumindest gibt sie einem den Raum, sich selbst zu heilen. Man muss sich nur trauen, die Schuhe auszuziehen.
Der Kurpark: Ein Labyrinth aus Grün und Salz
Wer hierher kommt, erwartet oft geschnittene Hecken und militärische Ordnung. Die gibt es auch, keine Frage. Aber der Kurpark von Bad Wörishofen, immerhin 163.000 Quadratmeter groß, bricht diese Erwartung an vielen Stellen ganz bewusst. Man betritt das Gelände und merkt sofort: Hier wurde nicht einfach Natur simuliert, hier wurde sie kultiviert, ohne ihr die Luft abzuschnüren. Das Herzstück im westlichen Teil der Stadt ist weitläufiger, als man von außen vermutet. Autos sind weit weg, der Lärm der Zivilisation wird durch dichte Baumreihen fast vollständig geschluckt. Was bleibt, ist das Geräusch von Wasser und Kies unter den Sohlen.
Sofort fällt das Gradierwerk ins Auge. Es sieht aus wie eine überdimensionierte Hecke aus Reisig, gestapelt in einem Holzgerüst. Hier rieselt Sole, also salzhaltiges Wasser, über Schwarzdornreisig herab. Wenn man davor steht, atmet man unweigerlich tiefer ein. Die Luft schmeckt salzig, fast wie an der Nordsee, nur dass man eben mitten im bayerischen Voralpenland steht. Es ist ein physikalischer Trick: Das Wasser verdunstet, die Salzpartikel bleiben in der Luft hängen und reinigen die Atemwege. Einheimische sitzen hier oft stundenlang auf den Bänken, eingemummelt in Decken, und lesen Zeitung. Es hat etwas fast Meditatives, dem Tropfen zuzuhören. Man setzt sich dazu, macht die Augen zu und vergisst für einen Moment, dass man eigentlich noch Mails checken wollte.
Der Park ist in verschiedene Zonen unterteilt. Besonders ist der Duft- und Aromagarten. Sebastian Kneipp, der berühmte Pfarrer, der diesen Ort auf die Weltkarte der Gesundheit hievte, setzte nicht nur auf Wasser, sondern auch auf Kräuter. Die Phytotherapie ist eine der fünf Säulen seiner Lehre. In diesem Gartenabschnitt findet man Heilpflanzen, die nach Pizza riechen (Oregano und Thymian in Massen), aber auch Exoten und alte Klosterpflanzen, deren Namen man meist erst googeln muss. Es summt und brummt hier gewaltig; Insekten scheinen den Bereich genauso zu schätzen wie die Kurgäste.
Barfußpfad: Unten ohne durch den Matsch
Jetzt wird es praktisch. Schuhe ausziehen ist in Bad Wörishofen fast schon eine staatsbürgerliche Pflicht. Der Barfußpfad im Kurpark ist einer der längsten seiner Art in Deutschland, rund 1.550 Meter lang. Wer glaubt, das sei nur was für Kinder, täuscht sich gewaltig. Es ist eine sensorische Gehirnwäsche im besten Sinne. Man startet auf weichem Gras, was noch harmlos ist. Dann folgen Rindenmulch, runde Flusskiesel, Schlamm und sogar Tannenzapfen.
Der erste Schritt in das Schlammloch kostet Überwindung. Der Matsch quillt zwischen den Zehen hoch, es ist kalt und glitschig. "Igitt" denkt der Kopf, "Interessant" melden die Nervenenden an den Fußsohlen. Man sieht hier oft gestandene Männer in Anzughosen, die die Hosenbeine hochgekrempelt haben und vorsichtig wie Störche durch den Lehm waten. Genau das ist der "Storchengang", den Kneipp predigte: Bei jedem Schritt den Fuß komplett aus dem Wasser oder Schlamm heben, die Zehen nach unten strecken. Das fördert die Durchblutung massiv.
Spannend ist dabei, dass der Bodenkontakt etwas mit der eigenen Wahrnehmung macht. Man geht langsamer. Man schaut nicht aufs Handy, weil man sonst auf einer spitzen Wurzel landet. Es erdet einen, im wahrsten Sinne des Wortes. Am Ende der Runde fühlen sich die Füße warm an, sie kribbeln, sind rot und lebendig. Ein Handtuch sollte man übrigens immer im Rucksack haben, auch wenn die Profis die Füße nur "abstreifen" und lufttrocknen lassen. Aber für Anfänger ist ein kleines Frotteehandtuch Gold wert, bevor man wieder in die Sneakers schlüpft.
Das Rosarium: 6.000 Mal Farbe
Ein kurzer Szenenwechsel. Vom rustikalen Matsch zu absoluter Eleganz. Das Rosarium ist quasi das Wohnzimmer des Parks. Über 6.000 Rosenstöcke wurden hier gepflanzt, und wenn die im Sommer blühen, ist die Optik fast schon kitschig schön. Es gibt über 550 verschiedene Sorten. Manche sind alte Züchtungen mit schweren, betörenden Düften, andere sind moderne Sorten, die vor allem durch ihre knalligen Farben auffallen.
Hier trifft man sich. Es ist der Ort zum Sehen und Gesehenwerden, allerdings auf die sehr entspannte Allgäuer Art. Keine High Heels, eher bequeme Sandalen. In der Mitte plätschert Wasser, natürlich. Teiche und kleine Bachläufe durchziehen die Anlage. Vögel lieben diesen Teil des Parks besonders. Manchmal, wenn man ganz ruhig auf einer der versteckten Bänke sitzt, huscht ein Eichhörnchen vorbei, das hier so an Menschen gewöhnt ist, dass es fast schon unverschämt nah kommt. Sie wissen genau, in welchen Taschen Nüsse versteckt sein könnten.
Interessant ist die Insel im großen Weiher. Ein Rückzugsort im Rückzugsort. Weiden hängen tief ins Wasser, Karpfen ziehen träge ihre Runden und schnappen ab und zu nach Luft oder Brot, das ihnen (obwohl eigentlich verboten) doch ab und zu zugeworfen wird. Die Atmosphäre ist hier dichter, fast schon privat, obwohl der Park öffentlich ist.
Auf den Spuren des Wasserdoktors
Man kann über Bad Wörishofen nicht schreiben, ohne Sebastian Kneipp zu erwähnen. Der Mann ist hier allgegenwärtig. Nicht als verstaubte historische Figur, sondern als Marke, die funktioniert. Er kam 1855 als Beichtvater zu den Dominikanerinnen hierher. Eigentlich wollte er nur seine Ruhe und seine Tuberkulose kurieren, die er sich als junger Mann zugezogen hatte. Er heilte sich selbst durch kurze Bäder in der eiskalten Donau. Das sprach sich rum.
Das Dominikanerinnenkloster steht noch immer, mitten im Ort. Dort kann man das Kneipp-Museum besuchen. Es ist überraschend wenig trocken. Man sieht seine originale Badewanne und die Gießkannen, mit denen er die berühmten Güsse verabreichte. Es wirkt alles sehr simpel, fast primitiv, und doch ist die Wirkung bis heute unbestritten. Kneipp war kein Arzt, und das brachte ihm viel Ärger mit der Ärzteschaft ein, die ihn als "Kurpfuscher" beschimpfte. Heute ist seine Lehre immaterielles Kulturerbe. Ironie der Geschichte.
Wenn du durch die Stadt läufst, wirst du überall Kneipp-Becken sehen. Insgesamt gibt es 22 öffentliche Anlagen im Stadtgebiet. Sie sind meistens umsonst. Das Prinzip ist immer gleich: Ein Becken für die Füße, eines für die Arme ("Kneippsche Espresso"). Man taucht die Arme bis zur Mitte des Oberarms ins kalte Wasser, zählt bis zwanzig (oder bis es schmerzt) und streift das Wasser dann ab. Der Effekt ist verblüffend: Man ist sofort wach. Besser als jeder Koffeinschub.
Die Tulpenbaumallee und der Ostpark
Viele Besucher bleiben im zentralen Kurpark hängen, aber der Weg in den Ostpark lohnt sich. Verbunden sind die beiden Areale durch die Tulpenbaumallee. Wenn diese Bäume im Frühsommer blühen, tragen sie große, gelb-grüne Blüten, die tatsächlich wie Tulpen aussehen. Es ist ein seltener Anblick in diesen Breitengraden. Die Allee führt schnurgeradeaus und gibt dem Spaziergang eine gewisse Erhabenheit.
Der Ostpark selbst ist wilder, weniger "frisiert" als der Kurpark. Hier gibt es große Streuobstwiesen. Das Gras steht höher, Schmetterlinge flattern durch die Gegend. Es ist der Teil von Wörishofen, der am ehesten an das ursprüngliche Allgäu erinnert. Man findet hier Ruhe vor den organisierten Kurgruppen, die oft im Gänsemarsch durch den Hauptpark geführt werden. Hier joggen Einheimische oder führen ihre Hunde aus. Es ist der alltägliche, normale Teil der Stadt, der aber trotzdem diese unfassbare Ruhe ausstrahlt.